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Der traditionelle Kunstbegriff ist enger und weiter. Als Aufgabe von Kunst wird z.B. das Abbilden, das Schmücken und der Transport von Inhalten und Botschaften aufgefasst. Das Entschlüsseln und Interpretieren von Bild-Botschaften wird „Bilderkunde“, auf griechisch Ikonologie, genannt. In der Kunstwissenschaft trifft der Begriff Ikonographie eher die Bildbeschreibung und ist eher verengend im Vergleich zu dem umfassenderen Begriff Ikonologie.

Seit einiger Zeit ist die Kunstwissenschaft stark an den sozialen Bedingungen der Bildentstehung interessiert. Andere neue Themen sind die Bildwahrnehmung, die Rezeption, und die direkten und indirekten Veränderungen, die Kunstwerke im Lauf der Zeit durchmachen. Eine Dauerhaftigkeit von Kunstwerken war lange Zeit ein selbstverständliches Ziel. Das hatte bei Plastiken zur Folge, dass Metall und Stein die mit Vorliebe gewählten Materialien waren. Das hatte auch Konsequenzen für die Form, nämlich eine gewisse „überzeitliche“ Neutralität und „Stilisierung“. Bildwerke sollten „über den Tag hinaus“ ansehbar sein. In diesen Zusammenhang gehört auch die Frage: Welche „Bilder“ haben wir vom Ruhrgebiet, welche „neue Bilder“ sollen nach „draußen“ getragen werden oder sollen wir Hierwohnenden uns von unserem Umfeld machen, damit das Solidaritätsgefühl verstärkt wird?

Kunst und Auftraggeber

Bis zur Neuzeit entstanden Bildwerke in der Regel in einem Vertragsverhältnis zwischen Auftraggeber und den „Machern“, die wegen ihrer besonderen Fähigkeiten in Italien oder Frankreich als „artigiano“ oder „artisan“, als „Kunst“- Handwerker, bezeichnet wurden. Der deutsche Begriff Künstler würdigt ein besonderes „Können“. Bei diesen Verträgen wurden oft sehr detailliert die Bildinhalte festgelegt. Heute gibt es viel Kreativität in der Werbung und dort gibt es nach wie vor intensive Diskurse zwischen Bildherstellern und Auftraggebern und natürlich auch das Mißlingen und die Hilflosigkeit und die Ohnmacht, denn mindestens so wichtig wie die künstlerische Qualität von Bildern oder Kunstwerken ist ihre Glaubwürdigkeit. Die Emanzipation der Künstler von direkten Auftrag setzte in der Renaissance mit „Star-Künstlern“ wie Leonardo da Vinci ein. Sie hatten damals gute Bedingungen, weil sich politische Emporkömmlinge mit Künstlern schmücken wollten. Im 18. Jahrhundert kam der „Genie-Kult“ auf. Es kam zu den Extremen des „verkannte Künstlers“ oder von „Künstler-Fürsten“ wie Lenbach oder Makart. Es gab privates, bewundernswertes, soziales und politisches Engagement von Künstlern (z.B. Daumier, Kollwitz) und dann kamen die Surrealisten, die mit der Methode „Bürgerschreck“ erfolgreich neue Sehgewohnheiten eingeführten. Doch wenn es keine Tabus mehr gibt, können Proteste oder Provokationen ins Leere gehen.

Kunst im privaten Raum – Ist Kunst eine Ware? Uli Queste "Manus Monetum"

Wie geschildert sind jetzt Künstler in der Regel „Freiberufler“ und die Produzenten von dreidimensionalen Bildwerken, die Bildhauer, haben es schwerer als z.B. die Graphiker oder Maler ein Werk herzustellen und zu verkaufen. Wer keine Zementguss- Replik der nackten Venus aus dem Gartenmarkt haben möchte, braucht andere Angebote. Doch wer hat als Privatmann das Geld oder den Platz, bei sich zu Hause eine lebensgroße Figur aufzustellen. So gibt es einen interessanten Markt für Kleinplastiken.

Dieses Dilemma kannten auch schon die Künstler, die im späten Mittelalter überwiegend für kirchliche Auftraggeben arbeiteten. Sie entwickelten eine besondere „Kunst für Kenner“. Das waren , z.B. für reiche Geistliche kleinere Andachtsbilder mit besonders raffinierten theologisch-inhaltlichen Anspielungen. Fürsten, Gelehrte, reiche Bürger hatten auch solche „Privat-Bilder“. Spötter bezeichneten solche Werke bisweilen als „Conversation Pieces“, man konnte bei einem Besuch den Wert des Objektes und die Kennerschaft des Besitzers loben. Künstler machten und machen Serien-Versuche, um die Wirkung von Bildeinfällen zu überprüfen. Das ist die moderne, die „Anti- Ikonen-Methode“.

Eine Probefigur in Wachs oder Gips wird auf italienisch als Bozzetto bezeichnet. Dem „Kenner“ bereitet es intellektuelles Vergnügen, dem Künstler bei dieser Arbeit „über die Schulter zu sehen“. Deshalb waren und sind Bozzetti begehrte Sammlerstücke und werden von den Bildhauern auch schon als solche produziert. Das ist legitim. So ist auch Lüpertz bei der Horster Großplastik vorgegangen. Bei den Bozzetti und anderen Studien, die im Frühjahr 2011 in Duisburg ausgestellt waren, hat Lüpertz viele Varianten durchgespielt, man kann deutliche Veränderungen erkennen.

Bildinhalte und private Ersatzvornahme für öffentliche Auftraggeber

Es macht einen Unterschied, ob eine ironische Figur kurz in einer Tageszeitung abgebildet oder bei einem Karnevalsumzug durch die Straßen gefahren wird, oder ob sie dauerhaft angesehen werden muß, weil sie unübersehbar vielen Menschen „im Blickfeld“ steht. Welche Legitimation gibt es für eine in den Stadtraum wirkende Großplastik? Es handelt sich bei der Figur auf dem THS-Komplex um eine Figur auf einem Privatgebäude. Es gab – soweit bekannt – keine Schenkung an die Stadt, dazu hätte es eines Ratsbeschlusses bedurft. Welche Genehmigungsgrundlage kam hier zur Anwendung? Wer war der „Veranlasser“ und der Verantwortliche?

Handelt es sich um eine „Werbeanlage“? Von wem geht die „Botschaft“ aus? Eine wichtige Eigenschaft von bildnerischer Kunstwerken ist ihre inhaltliche „Offenheit“; Worte sind oft „enger“, besonders wenn sie juristisch oder theologisch aufgeladen sind. Kunst dagegen kann im guten Sinn vieldeutig sein; das kann bis zur Überinterpretierungen führen. Ich finde es gut, dass die Plastik in Horst „gegenständlich“ ist. Die Auseinandersetzung mit der menschlichen Figur ist reizvoll und bietet einen leichteren Möglichkeit für eine Identifikation und inhaltliche Auseinandersetzung. Für die Figur auf dem Treppenhaus neben dem Förderturm von Schacht 2 der Zeche Nordstern ist von Markus Lüpertz die Bezeichnung Herkules gewählt worden.

Was hat es mit solchen Namen bei Bildwerken auf sich? Das Wissen um die mythologische Bedeutung des Herakles oder – lateinisch – Herkules, ist heute hier eher gering. Es ging meines Erachtens darum, ein Bildwerk durch einen Titel oder entsprechende Attribute „aufzuwerten“. Das war seit der Antike und besonders seit der Renaissance eine vielgeübte Praxis. Wollte ein Fürst sich am Bild einer nackten Frau erfreuen, war es nach der Bezeichnung „schlafende Venus“ sofort eine „anständige“ Sache.

Eignet sich Herkules als Identifikationsfigur für das Ruhrgebiet?

Viele moderne und gegen die Vergangenheit protestierende Künstler vermieden Benennungen für ihre Werke. So hängen z.B. in Museen sehr oft Bilder mit der Beschriftung: „o.T. 1967“. Die Reaktionen vieler Betrachter des Gelsenkirchener Ensembles aus ehemaligem Förderturm und menschlicher Figur wären anders, wenn Lüpertz nicht diese Herkules-Verbindung gewählt hätte.

Zum Beispiel bei einer Benennung „junger Mann vor Entscheidung“, hätten die Betrachter jeweils selbst eine „Geschichte“ dazu erfinden können. Herakles war ein bei den „alten Griechen“ ein Halbgott, in dem Fall ein Sohn des Zeus aus einer Verbindung mit einer „irdischen“ Frau. In die Figur des Herakles sind in der griechischen Frühgeschichte viele Erzählungen hineingewoben worden. Herkules hat dabei ein charakteristisches Profil gewonnen.

Ein wichtiges Attribut war seine körperliche Stärke, was er schon als Kind bewies, als ihm die betrogene Ehefrau des Göttervaters Schlangen in die Wiege legte, die der Säugling dann mit der Hand zerquetschte. Der ganze Lebenslauf des Herkules bestand aus derartigen „Kraftakten“.

Er erledigte diese Taten nicht listenreich wie Odysseus oder in unendlicher Geduld wie Sisyphos und er war auch kein „Menschenfreund“ wie Prometheus, der das Feuer vom Olymp auf die Erde brachte; Herkules war eher ein „Hau drauf“. Die Keule und das erbeutete Löwenfell sind deshalb seine bekanntesten Attribute.

Das irdische Ende des Herakles war allerdings wenig erfreulich: Als der Kentaur Nessus, halb Mensch, halb Tier, die Deianeira, die Frau des Herakles, auf seinem Rücken durch einen Fluss trug, wollte er „grapschen“. Herakles sah das vom Flussufer und traf Nessus mit einem Pfeil. Der sterbende Kentaur behauptete, sein Blut sei wundertätig, Deianeira solle es deshalb aufsammeln, was sie tat.

Später tränkte sie damit das Gewandt des Helden, doch nun entfaltete das „Nessus-Hemd“ seinen Fluch: es brannte sich in die Haut ein, Herakles erlitt so starke Schmerzen, dass er ins Gebirge entfloh, einen Holzstoß aufrichtete und sich verbrennen wollte. Als die Flamme aufloderte, kam eine Wolke und trug ihn in den Olymp.

Es gab im 17. und 18. Jahrhundert Fürsten, die ihre Regierungsleistungen als heldenhaft ansahen und sich als „neuer Herkules“ feiern und darstellen ließen. Das bekannteste Beispiel steht in Kassel. Auch August des Starke pflegte diese Idee.

Die Zeitgenossen und die Nachfahren haben oft darüber gespottet. Noch in DDR-Zeiten wurde in Dresden ein Kabarett mit Namen Herkules-Keule gegründet; es ist noch heute aktiv.

Man kann sich fragen, wer im Ruhrgebiet soll sich mit Herkules und seinen Taten identifizieren? Gab es im Ruhrgebiet einen Löwen, der mit einer Keule erschlagen wurde bzw. eine „Plage“, die mit einem Schlag gelöst werden konnte? Hat jemand im Ruhrgebiet den „Stall des Augias“ ausgemistet? Lüpertz hat vielleicht deshalb die Herkules-Darstellung auch nicht eindeutig umgesetzt. Noch bei mehreren Bozzetti und den für die Presse bestimmten Modell-Fotos trägt der Held das über der Brust verknotete Löwenfell und greift mit der Linken (Linkshänder?) zur Keule. Die ausgeführte Figur ist viel fragmentarischer und gebrochener. Man sieht, Lüpertz ist ein erfahrener Künstler…

Vergleichsbeispiele

Der Herkules des Lüpertz hat eine Höhe von etwa 18 Meter. Wird es nun eine Inflation von figürlichen Großplastiken geben, wie schon z.B. den sinnlos hämmernden Mann in Frankfurt? Es gibt aus in der Vergangenheit ganz unterschiedliche Beispiele von Großplastiken. Eine Kolossalstatue des Sonnengottes Helios mit den Gesichtszügen des Kaisers stand in Rom im Areal der Villa des Nero. Nach dem Sturz des Kaisers wurde sie zerstört; die Erinnerung an sie hielt sich und das in der Nähe von der flavischen Kaiserfamilie errichtete große Amphitheater wurde Kolosseum genannt.

In Deutschland denkt man bei älteren Großplastiken an die Figur des Hermann im Teutoburger Wald bei Detmold (ca. 26 m hoch) oder an mehrere etwas jüngere und heute kaum mehr begeisternde preußische Monumentaldenkmäler. Außerhalb von Deutschland denkt man z.B. an die Freiheitsstatue vor New York oder den segnenden Christus über Rio de Janeiro. Dagegen gab es in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Künstlern, die sich künstlerisch glaubwürdig mit der menschlichen Figur auseinander setzten und dabei Menschen „abbildeten“, mit denen man sich identifizieren kann oder die man als Nachbarn oder zumindest als Zeitgenossen wiedererkennen könnte. Der deutsche Bildhauer Stephan Balkenhol, (Jahrgang 1957) fräste und sägte aus Baumstämmen solche Menschen, oft jüngere Männer, sie wirken sehr glaubhaft.

 

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Von Lutz Heidemann

Lutz Heidemann, geb. 1938 in Dresden, aufgewachsen in Thüringen, Architektur-Studium in Aachen, Nebenfächer Kunstgeschichte und Soziologie, hat von 1972 bis 2000 im Planungsamt GE gearbeitet. Schon früh engagierte er sich als Bau- und Stadthistoriker in Gelsenkirchen und im Ruhrgebiet. Sein Wirken trug nachhaltig zum Erhalt einiger städtebaulich interessanter Gebäude in Gelsenkirchen bei.

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