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Zur Problematik von Parteiordnungsverfahren

Da Parteien ein gewisses Maß an Geschlossenheit brauchen, um politische Kraft zu entfalten, gibt es Grundregeln, die jedes Mitglied (das ja freiwillig der Partei beigetreten ist) zu beachten hat. Verletzt ein Mitglied diese Regeln, gibt es Parteischiedsgerichte, die im Wege des Parteiordnungsverfahrens entscheiden, ob und wenn ja, welche Sanktionen verhängt werden. Das kann bis zum Ausschluss aus der Partei gehen.

Soweit die formale Seite. Inhaltlich muss klipp und klar gesagt werden, dass PO-Verfahren prinzipiell nicht dazu da sind, innerparteiliche Meinungsverschiedenheiten oder Machtkämpfe zu klären. Der Versuch der Löbbert-Gruppe, lästige Parteikonkurrenten per Schiedsgericht loszuwerden, war deshalb unzulässig. Anders verhält es sich, wenn tatsächlich Grundregeln der Partei missachtet werden.

Wenn z. B. ein SPD-Mitglied vor einer Wahl öffentlich aufruft, nicht SPD zu wählen, dann ist das m. E. ein Grund zum Ausschluss. Der Fall Wolfgang Clement zeigt den Zusammenhang sehr schön auf. Clement hätte eine bestimmte Energiepolitik oder Frau Ypsilanti nach Herzenslust kritisieren können (das hätte man unter Meinungsfreiheit abhaken können). Indem er aber vor der Hessenwahl zur Nichtwahl der SPD aufrief, überschritt er die Grenze. Dass er im anschließenden PO-Verfahren mit einer Rüge davon kam (meiner Meinung nach völlig unangemessen), war nur einer betulichen politischen Rücksichtnahme zuzuschreiben. Doch selbst das dankte er der Partei nicht, die so viel für ihn getan hat. Das, Wolfgang, war eine ganz miese Nummer!

Exkurs 3: Ein MdB und die Staatsgewalt

Noch heute frage ich mich manchmal, was Löbbert & Co. zu dieser dummen Strategie veranlasst hatte. Sicher spielten Wut und vielleicht sogar Hass eine Rolle, Gemütszustände, die ja bekanntlich das Gehirn vernebeln. Dann überschätzte man wohl auch die eigenen Machtmöglichkeiten, und die Sozialisation in einem eher autoritär geprägten Parteiapparat legte es nahe, bürokratisch und nicht politisch zu reagieren. Doch war das alles?

Ich meine, dass schlichtweg auch pure Angst im Spiel war, und dafür habe ich einen Beleg. Es war im März 1972.

Der Ortsverein Altstadt (Vorsitzender: Hans Gertzen MdB) machte eine Versammlung zu einem Thema, das ich vergessen habe. Jedenfalls war es weder etwas Aufregendes noch Brisantes. Trotzdem hatte ich die Idee, einfach dort hinzugehen und mir anzusehen, was da abläuft.Dazu kam es aber nicht, denn als Gertzen mich sah, eröffnete er nicht die Versammlung, sondern forderte mich ultimativ auf, den Raum zu verlassen.

Ich sei ja kein OV-Mitglied. Ich weigerte mich. Ich sei Mitglied im UB-Vorstand und hätte damit das Recht, an allen SPD-Veranstaltungen in GE teilnehmen zu können. (Das war nicht ganz korrekt. Ich war zwar Juso-Vertreter im SPD-Vorstand, aber nicht gewähltes Mitglied, wobei eben nur den Gewählten das o. g. Recht zusteht. Na gut, ich habe es einfach behauptet.) Genau mit diesem Hinweis forderte mich Gertzen erneut auf zu gehen. Ich weigerte mich noch immer.

Und jetzt kommt’s! Plötzlich herrschte Gertzen (Hausrecht!) einen neben ihm sitzenden Genossen an, die Polizei zu holen. Die Versammlung erstarrte zur Salzsäule, und auch der Angesprochene machte nicht die geringsten Anstalten, der Aufforderung nachzukommen. Da lief der Vorsitzende höchstpersönlich mit hochrotem Kopf aus dem Raum und alarmierte die Staatsmacht.

Diese erschien dann auch in Form von zwei Beamten. Angesichts einer derartigen Übermacht gab ich nun klein bei und verließ, eskortiert von den Polizisten, den Ort mit dem Ausspruch: „Ich weiche der Gewalt!“

Natürlich hatte die Sache ein Nachspiel. Dicke Schlagzeilen in der Presse, heftige Debatten in der Partei und eine vorsichtige Distanzierung, der sich selbst der von der Löbbert-Gruppe beherrschte SPD-Vorstand nicht entziehen konnte. Immerhin war es wirklich ein starkes Stück (und ich glaube auch historisch einmalig), dass ein SPD-Mitglied, das nur dabei sein wollte, per Polizei aus einer Versammlung der SPD geworfen wurde.

Für mich waren allerdings zwei Dinge noch bemerkenswerter. Einmal fand ich es schon gut, dass von den anwesenden Genossinnen und Genossen keine/r (!) bereit gewesen war, den Büttel zu mimen. Das sprach wieder für meine SPD. Zum anderen war es das Motiv von Hans Gertzen. Wäre er souverän über meine Anwesenheit hinweggegangen, dann wäre an diesem Abend überhaupt nichts passiert. Was hatte ihn dazu gebracht, so hysterisch zu reagieren? Angst?

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Von Hans Frey

Hans Frey (geb. 24.12.1949 in Gelsenkirchen, verw., drei Kinder) studierte Germanistik und Sozialwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum und arbeitete dann als Studienrat an einem Gelsenkirchener Gymnasium. 1980 wurde er in den Landtag von Nordrhein-Westfalen gewählt, dem er bis 2005 angehörte. Seit dieser Zeit lebt er (formal) im Ruhestand. Neben der Politik war und ist Hans Frey publizistisch und künstlerisch engagiert. U. a. kreierte er 1996 als Drehbuchautor und Regisseur die Stadtrevue „Ja, das alles und mehr…“, gab sieben Jahre lang das Stadtmagazin DIE NEUE heraus und gehörte 2004 zu den Mitinitiatoren der Kunstausstellung RUHRTOPIA in Oberhausen. Im September 2007 war er Mitbegründer von gelsenART e. V., Verein zur Förderung von Kunst und Kultur im Ruhrgebiet. Unter seinen Buchveröffentlichungen finden sich u. a. - der fantastische Roman „Die Straße der Orakel“, der in einer Antike spielt, die man so aus den Geschichtsbüchern nicht kennt (2000), - das Sachbuch „Welten voller Wunder und Schrecken – Vom Werden, Wesen und Wirken der Science Fiction“ (2003), ein umfangreiches Werk, das alle Facetten der Science Fiction beleuchtet, - und sein aktuell letztes Buch (September 2009), der erste Band seiner politischen Autobiografie „Ja, das alles und mehr! – Geschichte und Geschichten aus 35 Jahren Politik“ mit dem Titel: „Wilder Honig“.

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