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Es gibt das Mögliche und es gibt – gab es zumindest noch gestern – das Unmögliche.

Martin Klingel BahnhofsuhrDas Mögliche kommt dem Unmöglichen manchmal recht nahe (wie das Unmögliche dadurch auch dem Möglichen); so nahe am Möglichen entfaltet das Unmögliche seine ganze Potenz, worauf das Mögliche, das es natürlich nicht fassen kann, dass etwas unmöglich sein soll, selbstverständlich alle seine Möglichkeiten an das Unmögliche wendet, um es möglich zu machen – was kaum möglich ist, denn das Unmögliche ist unmöglich, sonst wäre es ja möglich.

Es ist also nicht das Mögliche, das Unmögliche möglich zu machen, aber es ist eine Möglichkeit (darum fragt man „Iss das denn die Möglichkeit?“, nicht „Iss das denn die Unmöglichkeit?“, denn in jener „Möglichkeit“ steckt die Entdeckung einer konkret und real existierenden Unmöglichkeit bereits drin, die Frage „Iss das die Möglichkeit?“ ist rein hobbyakademisch).
Es kommt zur Win-Win-Situation und da der Winner nicht trennen soll, was Win-Win vereinigt hat, entsteht, wird geboren: der Kompromiss.

In jüngster Zeit kommt er schon gleich alternativlos zur Welt wie unsereiner wahlweise mit dem Silberlöffel oder der bekannten Arschkarte, gezogen nach demokratischem Verfahren zu den jeweils gültigen Regeln (es sind Spielregeln) der Markt- oder Kreativwirtschaft.
Dieses Verfahren ist deshalb alternativlos, weil der Kompromiss sowohl das Unmögliche als auch das Mögliche enthält.

Die Anteile des Möglichen und Unmöglichen, die der Kompromiss enthält, sind zwar nicht immer gleich groß, doch sind sie stets ausgewogen: das Unmögliche, das möglich wurde, entspricht immer dem Möglichen, das unmöglich war.
Der jeweilige Kompromiss kann demnach genauso möglich werden wie er zuvor unmöglich war (ein Paradebeispiel dafür gibt derzeit die SPD bezüglich ihrem Verhalten in Hinsicht auf den „Fiskalpakt“, ab, speziell was die „Transaktionssteuer“ betrifft).

Allerdings muss man sagen, dass in den Sphären des „Möglichen“ und „Unmöglichen“ sowohl „zu denken“ als auch „zu glauben“ nicht nur einseitig, spekulativ, ausschließlich, ja, voreingenommen ist, sondern methodisch falsch.
Denn was lässt sich vernünftigerweise „denken“ oder „glauben“, was möglich oder unmöglich sei, wenn die Unmöglichkeit eines Kompromisses mit der Unmöglichkeit konkurriert, ihn vermeiden zu können?
Nur wenn alles denkbar ist, kann man glauben, was man will.

Ein Beispiel –

Für den Fall, dass jemand weg will, hat man in der Gegend um Gelsenkirchen, so hab ich gehört, ein Sprichwort „Woanders iss auch Scheiße.“.
Man kann hier über Groß- oder Kleinschreibung diskutieren, viel Wahres ist so oder so dran, ja, das Beispiel, das sogar ein Umweltminister kürzlich aus Berlin „geliefert“ hat, scheint Warnung und Beleg dafür genug; das Beispiel eines Ex-Bundespräsidenten zeigt, dass „Scheiße“ am Schuh mit „Scheiße“ hier wie dort oft sogar identisch ist – wie der Regen derselbe Regen sein kann, der die Traufe füllt, in die man kommt.

Also will ich daheim bleiben.

Es gibt faule und dementsprechend auch fleißige Kompromisse.
Einer, der sich zu der edleren Sorte „fleißig“ entwickelt hat, scheint jener sonderbare Kompromiss zu sein, der in meiner Heimatstadt Lübeck geschlossen worden ist und sich nun schon durch Wochen hält: 43 Normaluhren wurden angehalten, ihre Zeiger verharren oben, dort, wo die Stunde, würde sie regulär angezeigt, und es wäre an der Zeit, 12 bzw. 24 Uhr schlägt bzw. schlug.
Seitdem die Uhren stillgelegt worden sind, ist die Zeit jedoch machtlos, hilflos gegen das, was die Uhren anzeigen. Hieße die Zeit 13 schlagen, die Uhren würden mit an Genauigkeit grenzender Sicherheit auf ihrer 12 be- und verharren.

Man könnte meinen, einerseits eine Zeit anzuzeigen, andererseits aber mit ihr nicht zu gehen,  das sei ein Kompromiss vielmehr der faulen als der fleißigen Sorte.
Das ist natürlich ein Irrtum.
Denn zweifellos war man erst fleißig, ihn zu vermeiden, dann, nachdem er umso unvermeidlicher wurde, ebenso fleißig, ihn zustande zu bekommen, ehe man gar nichts hätte, und noch fleißiger muss man sich bemühen, ihn zu verstehen, zu akzeptieren und mit ihm zu leben.
Viertens steckt immer was dahinter.

Was es in diesem Fall ist, lässt sich allerdings schwer sagen.
Vielleicht ist es, damit die Uhren im Gleichlauf mit der Zeit tatsächlich gehindert sind, 13 zu schlagen – einmal tags und einmal nachts?;
vielleicht, dass niemandem mehr eine Stunde schlägt und der Glückliche nicht bevorzugt werde?;
vielleicht geht’s auch ohne funktionierende Normaluhren, da es bisher auch mit ihnen nicht merklich besser ging?;
vielleicht sind sie zu alt, die neue Zeit zu zeigen, sie gar zu messen?;
vielleicht ist die Zeit derart knapp geworden, dass es sich nicht mehr lohnt, 43 Uhren damit in Gang zu halten?;
vielleicht steht es einer „Stadt der Wissenschaften“ einfach nicht mehr gut an, an jeder Ecke der Unsicherheit ihrer Gästen im Wissen um genaue Uhrzeit aufzuwarten?;
vielleicht ist es aber auch ein Marketing-Coup des Tourismus- und Gastgewerbes? Vielleicht erwartet man in Zukunft mehr Gäste aus Russland, wo bekanntlich der Pawlowsche Reflex erfunden wurde? Der Russe schaut auf die Normaluhr, sieht, es ist 12, also läuft ihm das Wasser im Mund zusammen, er wird nicht umhin können, eine Kleinigkeit zu essen. Zwei Stunden später, er geht die Beckergrube hinunter, schaut er wieder auf die Uhr: 12! Wieder läuft ihm das Wasser im Mund zusammen usw. Der Russe mag Skurrilitäten, Schnurrigkeiten, hat Geld und lässt sich allzu gern verleiten. Er lacht, schüttelt auf russische Art einmal kräftig den Kopf und – macht mit;
vielleicht ist es ein erstes Experiment zur Überprüfung einer nicht uninteressanten Theorie, wonach die Uhren nicht zu haben, die Zeit zu haben und Überlegenheit bedeutet?
Dazu ist allerdings zu sagen, dass jene auf 12 stehenden Uhren immer noch 2 Minuten in 24 Stunden genau gehen!

Ich würde mich nicht wundern, wenn sich Punkt Zwölf Einheimische vor einer Normaluhr einfinden, auf ihre Armbanduhr schauen, dann auf die Normaluhr und hierauf deren Genauigkeit kopfnickend konstatieren.

Solche Pünktlichkeit zu erreichen und einzuhalten allein lohnt die Mühe einer Uhren-Stilllegung!

Campino von den „Toten Hosen“ hat via Äther durch den Glotzkasten bekannt gegeben, dass er mit dem Altern eins gelernt habe, und das sei, dass sich eine Entwicklung nicht aufhalten lasse. Er gehöre nicht zu den Rentnern(!), die sagen, früher sei alles besser gewesen.
Ob er selbst nun zu den Jugendlichen gehört, die meinen, in Zukunft werde alles besser werden, bleibt ungewiss.
Offen blieb auch, in welchem Campinoschen Sinn die Unaufhaltsamkeit irgendeiner Entwicklung in Zusammenhang mit der Qualität ihres Resultates steht.
Ich bin gezwungen zu bekennen, dass ich, ohne schon einer zu sein, zu jenen Rentnern gehöre, die sagen, früher seien die Leute, wenn schon nicht klüger geworden, dann ganz gewiss nicht dümmer gewesen.

Und ich gehöre in Hinsicht auf die Lübschen Normaluhren wohl auch zu der Sorte Rentner, die sagen, früher seien die Uhren genauer gegangen und wenn ungenau, dann wenigstens gegangen.
Ob das nun besser war, lässt sich heute nicht mehr so genau sagen.
Vielleicht ist es das.

p.s.:
man sieht wieder, dass das Mögliche wie das Unmögliche sich in unserer Wirklichkeit zu universalkomplexen Themen hochentwickelt haben, die vom Bürger schwer zu verstehen sind. Nur Berufspolitiker können sie noch bewältigen, Entscheidungsträger, die sowohl Möglichkeiten als auch Unmöglichkeiten jeweils vollenden.
Dass durch den Prozess der Vollendung das, was vollendet wurde, noch komplexer wird, versteht sich von selbst.
Ebenso von selbst versteht es sich, dass Fehler dabei „passieren“.
„Passiert“ heißt aber, dass „es“ damit auch schon durch ist.
Beispiel: der Zug hat den Bahnhof passiert.
Hat der Zug den Bahnhof irrtümlich passiert, wird der dafür Verantwortliche verantwortlich gemacht.
In der Politik ist es genauso: der dafür verantwortliche Politiker wird verantwortlich gemacht – falls er gefunden werden kann –  und muss vielleicht zurücktreten.
Das, was „passiert“ ist, ist dann jedoch auch durch. Wie der Zug, der den Bahnhof passiert hat.
Irgendwo weiter draußen wird er auf das richtige Gleis geleitet, in seine Zeit geführt und kommt schließlich am Zielbahnhof an.
In der Politik würde man sagen: er war zur falschen Zeit am falschen Ort, doch immerhin, ja, seiner Zeit voraus.
Man darf getrost annehmen, dass in der Politik so mancher Zug planmäßig durch einen Bahnhof rattert, in dem er nicht erwartet wird. Man darf glauben, dass er seinen Zielbahnhof erreicht, während der dafür Verantwortliche ins zweite Glied zurücktreten muss.
Der unerwartete Zug aber kommt doch überraschend pünklich an. Genau um 12.){jcomments on}

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Von Martin Klingel

Martin Klingel spielt, schreibt, schnitzt als Theatermacher, Blogger und Holzbildhauer in Lübeck.

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