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Herrkules:

Herr Rasch, in Oberammergau war die Pest Anlass für die Passionsspiele. Welche Katastrophe hat Gelsenkirchen heimgesucht, dass Sie die Spiele hier verankern wollen? Was ist das NEUE an Ihrer Inszenierung eines alten Stoffes?

Elmar Rasch:

Eine Gelsenkirchener Katastrophe sind die fehlenden Spielstätten und Begegnungsorte an denen Kultur ausgetauscht werden kann. Ich fand nach langer Suche einen Probenraum in einer leerstehende Kirche und daraus ergab sich fast zwangsläufig meine Idee der Passionsspiele. Die Forderung nach dem Neuen, dem Experimentellen, dem Revolutionären kommt flott aus dem Feuilleton in Richtung freier Theater. Die ökonomischen Zwänge werden dabei aber übersehen. Geben Sie mir einen potenten Mäzen, verbeamten Sie mich, dann inszeniere ich experimentelle Revolte, mit oder ohne Publikum. Ich bin darauf angewiesen, dass Kosten gedeckt werden, folglich muss ich Mainstream machen. Das überwiegend ältere Publikum und auch die überwiegend älteren Schauspieler wollen und mögen das was wir machen. Wir haben mittlerweile ein 150 km großes Einzugsgebiet.

Herrkules:

Kann man nach „Das Leben des Brian“ die Passionsgeschichte überhaupt noch ungebrochen ohne Verfremdung erzählen?

Elmar Rasch:

Sicher, alles ist machbar. Noch wird man ja nicht schon wieder wegen Blasphemie gesteinigt. Man kann die Erwartungshaltung eines großen Publikums abdecken oder, wenn nichts mehr geht und einem nichts mehr einfällt, einen Witz auf Kirche oder Papst inszenieren. Das jeweilig passende Publikum findet sich immer.

Herrkules:

Am Anfang war die Zensur und die beschloss, welche Evangelien den heutigen Kanon bilden durften und welche unter den Tisch fielen. Muss ein Künstler aus Verpflichtung seinem Publikum und der Wahrheit gegenüber nicht die Zensur aufheben?

Elmar Rasch:

Ich habe nur die vier Evangelien zu Grunde gelegt und einige Passagen von Zuckmayer und Bulgakov eingeflochten.

Herrkules:

Warum greifen Sie die schon lange zirkulierenden Ansätze der popularisierenden Massenmedien nicht auf und zeigen Maria Magdalena als Jesus´ Frau. Dan Brown setzt sie in Da Vincis Abendmahl statt dem Jünger Johannes an die Seite von Jesus…….

Elmar Rasch:

… aus unspektakulären, banalen Sachzwängen. Die dünne Personaldecke erlaubte nur ein „kleines Abendmahl“ reduziert auf Judas, Jesus und eine Erzählerin. Ich musste mich auf das Kernthema des Verrats konzentrieren….

Herrkules:

…. „Verrat“ ohne den es keine Erlösung gäbe, ohne den die Kreuzigung nicht stattgefunden hätte, ohne den es keine Christen gäbe. Wäre hier nicht geboten gewesen, die „Schuldfrage“ unter dem  Aspekt der Prädestination und des freien Willens zu behandeln?

Elmar Rasch:

Indirekt ist es Thema, er ist jung, naiv, weiß nicht was er tut, will die Revolution und lebt in der Illusion, die Besatzungsmacht vertreiben zu können. Am Ende muss er hilflos zusehen, dass aus aus seinen guten Vorsätzen das Schlechte erwächst.

Herrkules:

Wer sind heute die Römer, wer die Pharisäer, Schriftgelehrten?

Elmar Rasch:

Die Wirtschaft, Finanzjongleure sind die Römer, weite Teile der Politik wird durch Heuchler gespeist, allerlei Schrift- und Wortkünstler deuten gelehrt was Wirtschaft und Politik sie deuten lässt.

Diese ganz hohen Herren mit ihren extremen Ego’s , die täglich Konzepte entwickeln, wie sie das Volk am geschicktesten bescheissen, die gab es sicher auch im damaligen Hohen Rat. Uns fehlt Respektbewusstsein, jeder versucht dem anderen aus Profilierungssucht an die Karre zu pinkeln. Wir haben keine Typen mehr, die man als zeitgeistliche Verkünder betrachten könnte, … naja, vielleicht war Rudi Dutschke noch so einer…

Herrkules:

War Jesus Lamm oder Revoluzzer?

Elmar Rasch:

Sowohl als auch. Ich zeige ihn sanft, zornig, zynisch, austeilend.

Herrkules:

Dann wissen Sie sicher auch, was er zwischen dem zwölften und dreißigsten Lebensjahr gemacht hat, in wen er sich verliebte, wie er zu sich fand…

Elmar Rasch:

.. über seine erste große Liebe weiß ich nichts. Eine Playstation wird er nicht gehabt haben. Ich vermute dass er hauptsächlich unterwegs, auf der Flucht war und seine Sinne und Gedanken dadurch geschärft wurden. Ständige Ausgrenzung führt – ja, das Sein bestimmt auch das Bewusstsein – zu revolutionäreren Sichtweisen, als ein Leben in angepassten, geordneten Verhältnissen.

Herrkules:

Welche Sekundärliteratur hat Sie am meisten bei Ihrer Inszenierung beeinflusst? „Ein Mensch namens Jesus“ von Gerald Messadie wohl kaum?

Elmar Rasch:

Richtig. Ich habe mich auf Primär-Quellen gestützt.

Herrkules:

Wie hoch sind Ihre Produktionskosten und wie viel davon kommt aus dem Kulturcent?

Elmar Rasch:

Die Produktion kostet 30 000 Euro, wir brauchen 2000 Zuschauer, um die Kosten zu decken, sind also auf einem guten Weg um schwarze Zahlen zu schreiben.

Herrkules:

Wir danken für das Gespräch

Elmar Rasch:

Bitte und gerne geschehen.

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Von Heinz Niski

Handwerker, nach 47 Jahren lohnabhängiger Arbeit nun Rentner. Meine Helden: Buster Keaton, Harpo Marx, Leonard Zelig.

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