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Sonntag, vor acht Jahren

Zehn Tage vor der Wahl hörte der Regen auf. Eine spätsommerliche Sonne stand leuchtend am Himmel. Die Menschen traten vor ihre Häuser, schüttelten sich die Feuchtigkeit aus den Kleidern und schauten zum Himmel, so als ob sie Helios in seinem Wagen erblicken wollten, um Gewissheit zu erlangen, dass die Sonne wirklich schien.

 

 

Bald war die Luft angefüllt vom Rotorgeräusch der ersten Hubschrauber, die Lebensmittel, Medikamente und Hilfskräfte in abgeschnittene Landstriche brachten. Auch vereinzelte Kolonnen von Lastwagen mit Hilfsgütern und technischem Gerät waren zu sehen, die sich, wo immer es ging, über schlammige Straßen kämpften.

 crashtest

Als das Wasser sich weiter zurückzog, türmten sich Mobiliar, Fernsehgeräte, Geröll, Schutt, Häuserteile, umgestürzte Bäume, Tierkadaver, Bettzeug, Autowracks und Güter aller Art zu bizarren Gebirgslandschaften auf, so als hätten die Fluten das Land mit Mahnmalen überzogen, die die Menschen an die Urgewalt der Natur erinnern sollten.

 

Wer einen Generator zum Betrieb von Wasserpumpen hatte, warf den Motor an, um seinen Keller trocken zu legen. Alles, was schwimmfähig war, Schlauchboote, Ruderboote, provisorisch zusammengezimmerte Flöße aus Tischplatten und Dachlatten, wurde dort, wo die Straßen wegen des Wassers noch nicht mit Kraftwagen passierbar waren, in Bewegung gesetzt, um Schäden zu beseitigen, Hilfe zu leisten und die Versorgung der Menschen zu organisieren. Die Einsatzkräfte von Armee und technischen Hilfsorganisationen rückten aus, noch ermattet von den in den vergangenen Wochen häufig vergeblich gebliebenen Versuchen, Deiche und Innenstädte zu sichern, nun aber voller Optimismus, das Leben wieder in Gang zu bringen.

 

Auch die ersten Kanäle und Flüsse wurden für die Schifffahrt frei gegeben. Die Schäden durch das Wasser waren immens, aber wie durch ein Wunder hatte die „Jahrtausendflut“ nur wenige Menschen das Leben gekostet.

 

Zwei Tage später waren große Teile des Landes mit Strom versorgt, und einen weiteren Tag später begannen die Fernsehsender mit einem auf Stunden beschränkten Nachrichtenprogramm. Das zeigte wie in einer Endlosschleife Bilder von Regierungsmitgliedern, die, in schicken Regenjacken und Gummistiefeln, mit Schüppen und Spaten in Schlammmassen herumstocherten, um ihre Tatkraft zu dokumentieren, oder auf provisorischen Aussichtsplattformen und Deichkronen mit ernster Miene Hilfen bei der Schadensbeseitigung und der Regulierung von Verlusten zusagten. Zumeist umgeben von einem Kordon von Soldaten und Sicherheitsleuten, die darauf zu achten hatten, dass sich kein Amtsträger nasse Füße holte und sich erkältete.

 

Die Menschen schenkten diesen Bildern kaum Beachtung. Sie waren viel zu sehr damit beschäftigt, ihren Alltag zu organisieren, ihre Wohnungen herzurichten, ihr Hab und Gut zu sichten und die gröbsten Schäden zu beseitigen.

 

Fünf Tage vor dem Wahlsonntag entschied die Regierung, die Wahlen stattfinden zu lassen und nicht, wie von einigen kleineren Oppositionsparteien vorgeschlagen, zu verschieben. Gerade in der Stunde der Not, so hieß es, sei das demokratische Gemeinwesen dazu verpflichtet, seine Stabilität unter Beweis zu stellen. Offensichtlich war die Hoffnung groß, sich für eine weitere Wahlperiode an der Regierung halten zu können.

 

Als am Wahlabend die ersten Hochrechnungen über die Bildschirme flimmerten, war klar, dass es zu einem politischen Erdrutsch gekommen war. Die Wahlbeteiligung war so niedrig wie noch nie, und die Regierung und die beiden sie tragenden Parteien waren nicht in der Lage gewesen, ihre Anhänger zu mobilisieren. Drei Stunden nach der Wahl stand das vorläufige amtliche Endergebnis fest: Mit 33,1 % war die PDKE (Partei Der Korrekten Erneuerung) zur stärksten Kraft geworden, ohne die eine Mehrheitsbildung für eine stabile Regierung nicht möglich war, denn die beiden bisherigen Regierungsparteien kamen zusammen nur auf 45,3%.

 

Der Ministerpräsident und sein Stellvertreter, sonst kaum zu zügeln, wenn es um öffentliche Verlautbarungen ging, die die Erfolge der Regierung abfeiern sollten, traten mit großer Verspätung vor die Mikrophone im Pressezentrum. Sie wirkten wie Crashtest-Dummys, die man falsch kalibriert hatte und die deshalb nicht in der Lage waren, ihre Funktion auszuüben. Sätze wurden verstolpert, Sprachbrocken genuschelt, Wörter verhunzt – ein Pelemele aus Fassungslosigkeit, Erklärungsnotstand und geistiger Leere tröpfelte von den beiden Rednerpulten in die Kameras der Fernsehsender und die Aufnahmegeräte der Journalisten. Rückfragen wurden gar nicht erst zugelassen.

 

Die Dummys waren vor die Wand gefahren, aber die Daten waren unbrauchbar.

 

Noch in der Nacht des Wahlsonntags erhoben der Parteivorsitzende der PDKE und seine gleichberechtigte Stellvertreterin in einer gemeinsamen Stellungnahme vor den Fernsehkameras den Anspruch auf die Regierungsbildung. Wie immer bei solchen Auftritten übernahm der Parteivorsitzenden den ernsten Part, was er durch seinen dunklen Anzug mit korrekt sitzender Krawatte auch vestimentär unterstrich, wogegen seine Stellvertreterin die zupackend-optimistisch-frohgemute Rolle übernahm. Ihr schrilles Outfit, das ein Farbspektrum von Orange bis zu einem quietschenden Grün abdeckte und durch die wie immer zu dick aufgetragene Schminke und zwei handtellergroße Ohrringe in Form von Sonnenblumen ergänzt wurde, wirkte in etwa so passend wie eine Tarantel auf einer Sahnetorte.

 

Sie hatten sich für ihre Verlautbarung vor dem Scheunentor eines Öko-Hofes platziert, der offensichtlich einem im Hintergrund stehenden Anhänger ihrer Partei gehörte, worauf der Schriftzug PDKE auf seinem Käppi hindeutete. Der Parteivorsitzende trug mit dem hölzernen Charme einer Gliederpuppe erste politische Forderungen vor, seine Stellvertreterin gluckste die Freude über den Wahlerfolg heraus und dankte den Parteifreundinnen und Parteifreunden für ihren großartigen Einsatz und dem Wahlvolk für die Stimmen. Just in dem Moment, als sie zu einem weiteren Dankenstirili ansetzen wollte, schob sich, von rechts kommend, eine Sau mit fünf Ferkeln ins Fernsehbild, trottete auf den Käppi-Träger zu und begann an seiner Latzhose zu schnorcheln. Der Mann, der bisher nahezu unbeweglich seine Position gehalten hatte, begann mit den Armen in der Luft herum zu fuchteln, um das Tier zu vertreiben. Als nun auch noch die Ferkelchen sich an ihm zu schaffen machten, entfuhr ihm, mitten in die Arie seiner Parteivorsitzenden hinein, ein „Du dumme Sau!“.

 

Die Übertragung brach ab und der Hinweis „Wir bitten die Bildstörung zu entschuldigen!“ wurde eingeblendet.{jcomments on}

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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