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Mythos III

Kein anderer antiker Mythos ist so zum halbgar gekochten Allgemeingut geworden wie der Mythos von Ödipus, den Sophokles in seinem Drama zu einem Klassiker der Weltliteratur gemacht hat. 

Zu „verdanken“ ist das dem bebrillten Doktorchen mit dem weißen Bart aus Wien, der das Liegen auf einer Couch als therapeutische Maßnahme zur Methode gemacht und die (angeblich) bereits im frühen Kindesalter vorhandene Sexualität entdeckt hat. Seit und durch Freud wissen wir, dass Schornsteine und Raketen im Grunde nichts anderes sind als erigierte Penisse, also sexualisierte Symbole der Männlichkeit.

Im Kern des Freudschen Denksystems steht (!!!) der Ödipus-Komplex, jene  Auffassung davon, dass ein Knabe im noch zarten Alter seine Mutter als Liebesobjekt begehrt und seinen Vater deshalb als Konkurrenten beseitigen will. Halt so wie dem Mythos nach Ödipus mit seiner Mutter vier Kinder zeugte und seinen Vater erschlug.

HALT! Jetzt muss man aber doch einiges zur Ehrenrettung von Ödipus sagen, der immerhin mit seinen Taten gegen zwei zentrale Tabus der Alten verstoßen hat, nämlich Inzest und Vatermord. Als Ödipus seinen Vater, dem er bei seiner Wanderschaft begegnete, erschlug, wusste er überhaupt nicht, dass der Mann, den er tötete und auf dessen Provokation und Angriff er reagierte,  sein Vater war. Und dass die Frau, die er ehelichte und mit der er Kinder zeugte, seine Mutter war, wusste er ebenfalls nicht.

Seine Eltern, das Königspaar Laios und Iokaste, hatten ihn nämlich, als noch kleines und hilfloses Kind, nicht zur zum Krüppel gemacht, sondern ihn auch töten lassen wollen. Aus diesem Grunde hatten sie ihm die Fersen durchstochen, diese dann zusammen gebunden und ihn den Tieren vorwerfen lassen. Nun war aber der Hirte, der das Kind aussetzen sollte,  voller Mitleid. Deshalb übergab er den nur wenige Tage alten Säugling einem Hirten aus dem benachbarten Königreich. Dieser brachte das Baby zu seinem Herrscherpaar, das, selbst kinderlos, den Knaben  an Kindes statt annahm und ihn – der Verletzung wegen –  Ödipus (=Schwellfuß) nannte. So wuchs Ödipus als Königssohn auf. Als er eines Tages vom Orakel den Spruch empfing, er werde seinen Vater töten und mit seiner Mutter Kinder zeugen, verließ er umgehend seine vermeintlichen Eltern (die ihm verschwiegen hatten, dass er nur ein angenommenes Kind war) und begab sich auf die Wanderschaft ins Exil – traf dabei auf seinen ihm unbekannten leiblichen Vater, tötete ihn und zeugte später mit seiner ihm unbekannten Mutter Nachkommen. Durch seine Flucht aus dem vermeintlichen Elternhaus trat also genau das ein, was er mit aller Macht verhindern wollte. Als Ödipus dieser Tat auf die Spur kam, blendete er sich!

Halten wir mal fest:

Am Anfang steht eine ungeheure Tat der Eltern, die ihr Kind zunächst verstümmeln und es dann aussetzen lassen wollen. Nach Aussage des Hirten, der die Tat ausführen sollte, kam der Befehl zur Aussetzung bzw. Tötung des Kindes von der Mutter.

Ödipus selbst tut alles, um dem Orakelspruch zu entgehen (die Flucht aus dem vermeintlichen Elternhaus).

Er tötet einen ihm unbekannten Mann in Notwehr, denn Laios, sein Vater, geht auf den ihm begegnenden Wanderer mit der Doppelaxt los.

Ödipus zeugt mit einer ihm unbekannten Frau Kinder, an die doch die Frage gestellt werden muss, ob sie sich nicht darüber wundert, dass ihr ja weitaus jüngerer Ehemann genau die Verwundung hat (durchstochene Fersen), die sie einstmals ihrem Kind zugefügt hat.  Zu fragen ist also, warum sie sich nicht darum bemüht hat, die Identität des jungen Mannes aufzuklären, zugespitzt: ab einem bestimmten Zeitpunkt muss ihr klar sein, dass sie Inzest begeht.

Als Ödipus das erkennt, stürzt er – mit gezogenem Schwert – ins Schlafgemach der Mutter, wohl um sie zu töten. Sie aber hat sich bereits erhängt.

Und die Götter? Sie erheben Ödipus (in Sophokles´ Fortsetzung von „Ödipus“ mit dem Titel „Ödipus auf Kolonos“), der sich schuldlos in Schuld verstrickt hat, in den Olymp, wo er an ihrer Seite sitzen wird.

Die Theorie vom Ödipus-Komplex, jenes „Epizentrum der Psychoanalyse“, wie es Michel Onfray einmal genannt hat, erweist sich bei genauerem Hinsehen folglich als Ergebnis einer offensichtlich ungenauen Textlektüre durch Freud, der das, was Sophokles im 5. Jahrhundert vor Christus in dieses wunderbare Werk gefasst hat, genau auf den Kopf stellt. Die Verbrecher sind die Eltern und  nicht das Kind. Verabscheuungswürdig ist die Mutter, nicht der Knabe. Der Inzest geht nicht vom Mann aus, sondern von der Frau. Der Aggressor ist der Vater, nicht der junge Mann Ödipus.  

Und die Freudsche Theorie vom Ödipus-Komplex: ein Schurkenstück von einem Mann, der seine eigene Verklemmtheit und seine Begehrlichkeiten, der eigenen Mutter gegenüber, zum Anlass nimmt, den armen Ödipus für sich zu vereinnahmen. Freud schreibt 1897 an Wilhelm Fließ: „(Daß)  (…)meine Libido gegen matrem erwacht ist, und zwar aus Anlaß der Reise mit ihr von Leipzig nach Wien. Auf welcher ein gemeinsames Übernachten und Gelegenheit, sie nudam zu sehen, vorgefallen sein muß.“

Ab auf die Couch, Herr Freud!{jcomments on}

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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