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Es ist vollbracht!

Endlich!

In einer  Zeit, in der sich jeder halbwegs wache Mensch mit der Frage beschäftigt, wie es passieren konnte, dass ein bekannter „Gefährder“ unter 14 Identitäten in dem ansonsten doch so geordneten Deutschland leben und sich frei bewegen konnte und wie er es geschafft hat, unerkannt und offensichtlich problemlos nach und schon vor seinem mörderischen Anschlag  in Berlin nicht nur Landesgrenzen, sondern auch  europäische Ländergrenzen ohne Schwierigkeiten zu überschreiten, erfahren wir endlich, welches Wort das Unwort des Jahres ist.

Endlich!

And the winner is: VOLKSVERRÄTER!

Jedenfalls hat sich die Jury dieses irgendwie (aus vier namentlich nicht genannten Sprachforschern und einem namentlich nicht genannten Autor) zusammen gesetzten und irgendwie legitimierten Gremiums aus  DARMstadt (bekanntlich neben ESSEN und PFORZHEIM Teil des deutschen städtischen Verdauungsdreiecks) für diesen Begriff entschieden, nicht zuletzt wegen der Vorfälle am 3.10.16 in Dresden, wo Teile des gerne von der politischen Elite als „Pack“ oder „Pöbel“ bezeichneten Volkes diesen Ruf gegenüber Merkel, Gauck und anderen Volksvertretern erschallen ließen, meistens in Kombination mit dem Appell „Haut ab!“

Begründet wurde die Wahl  mit dem „faschistischen und fremdenfeindlichen Hintergrund“ des Begriffs, der das „Erbe von Diktaturen“ sei und „das ernsthafte Gespräch und damit die für die Demokratie notwendigen Diskussionen in der Gesellschaft“ abwürge (dpa-Meldung, zitiert nach waz v. 11.Januar 2017/Kultur & Freizeit).

Ich hätte es mir an Stelle der Jury nicht so einfach gemacht – vor allen Dingen vor dem Hintergrund der Begründung. Natürlich, der Begriff ist durch seine Verwendung in der Nazizeit kontaminiert, und genau deshalb wird er, so steht zu vermuten, von Teilen der Demonstranten benutzt worden sein. Er gehört somit zum  Arsenal der Begriffe mit maximalem Empörungspotential, weil er die demokratisch legitimierten Vertreter der bundesdeutschen Politik in einen Kontext setzt, der in der verbrecherischen Justiz der NS-Zeit einem Todesurteil gleich kam.

Insofern kann man Roland Nelles durchaus zustimmen, der am 4.10.16, nach den Ereignissen in Dresden auf (SPIEGELONLINE/SPON) schrieb:

Wer so redet, hat entweder keinerlei aufgeklärte politische Bildung genossen oder ist ein Anti-Demokrat. Oder beides. Als „Volksverräter“ wurden nach dem Ersten Weltkrieg von Rechtsextremen erst all jene Demokraten betitelt, die sich für einen Frieden stark gemacht hatten und für die Weimarer Republik eintraten. Dann führten die Nazis den Begriff ins Strafrecht ein. Fortan konnte jeder als Volksverräter verurteilt werden, der sich gegen die rassisch definierte Idee der „Volksgemeinschaft“ auflehnte. Schon die kleinste missliebige Äußerung gegen das NS-Regime war mithin „Volksverrat“. In diesem Sinne müsste man den Dresdner Demonstranten entgegenrufen: Wenn ihr mich Volksverräter nennt, bin ich es gerne.“

Der Begriff selbst ist allerdings wohl älter und nicht erst in der Weimarer Republik aufgetaucht. Darauf hat Peter Grimm hingewiesen:

„Kein geringerer als Karl Marx hat in seinen Werken an die wahrscheinliche Geburtsstunde des „Volksverräters“ im politischen Diskurs erinnert. In einer Parlamentssitzung in der Frankfurter Paulskirche am 26. Mai 1849 meldet sich Wilhelm Wolff, der einzige Abgeordnete dieses Hauses, der den Marxschen Kommunismus-Vorstellungen folgte, bei einer Abstimmung über die „Proklamation an das deutsche Volk“ zu Wort. Der linke schlesische Parlamentarier sorgt für Furore, als er den Reichsverweser Erzherzog Johann von Österreich angreift.“  (Peter Grimm /blog Peter Grimms Sichtplatz)

Und Wilhelm Wolff  tut dieses mehrfach unter Verwendung des Begriffs „Volksverräter“, was Marx durch Zitate aus dem Sitzungsprotokoll belegt.

Nun hebt die vormalige Verwendung durch einen „Linken“, nämlich Wolff im 19. Jahrhundert, die Kontaminierung des Begriffs durch die Nazis nicht auf, wie ja auch der Begriff des Verrats oder des Verräters sowieso als umstritten angesehen werden kann (Ist Snowden  ein Verräter oder ein Mensch, der der Demokratie einen Dienst erwiesen hat? Und wie ist es mit dem Spruch: Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!)

Ich frage mich viel mehr, ob diese „Auszeichnung“ des Begriffs, sozusagen seine Erhebung in den sprachlichen Adelsstand, wenn auch negativ verstanden,  ihn nicht erst wirklich aus der Schmuddelecke holt, ihn politisch aufwertet, denn durch die Empörung der Elite über den kontaminierten Begriff wird klar, dass er eben auch ein maximales Provokationspotential hat. Denn nichts schafft mehr Erregung als das Spielen auf der Klaviatur von Begriffen mit NS-Konnotation.

Ich hätte den Begriff „populistisch“ („rechts-populistisch“) gewählt, denn dieser Begriff würgt erst recht, wie es in der Begründung der Jury heißt, „das ernsthafte Gespräch und damit die für die Demokratie notwendigen Diskussionen in der Gesellschaft“ ab. Die Wahl dieses Begriffs hätte nämlich das Bodenpersonal unserer Politik ebenso wie die Medien vor die Aufgabe gestellt, Auseinandersetzungen nicht über eine Etikettierung, sondern über Inhalte zu führen. Das Etikett „populistisch“ dient nämlich seit geraumer Zeit und  allzu häufig  gerne dem Wegstehlen aus einer konstruktiven Debatte. Und ist, so finde ich, mittlerweile nur noch beliebig!

 

Zu den Ereignissen in Dresden hier Filmdokumente und ein Interview mit H.M. Broder:

https://youtu.be/-JH4c4cSRjE

 

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Zu anderen Ereignissen hier auch ein Filmdokument – Zitat´:
Das braune Netzwerk

11.01.2017 | 44 Min. | UT | Verfügbar bis 11.01.2018 | Quelle: WDR

Immer entfesselter werden die Rufe auf den Straßen. Hassgesteuert gegen Merkel, Flüchtlinge, Demokratie und Rechtsstaat. Was mit Pegida begann, ist mit dem gigantischen Wahlerfolg der AfD zu einer neuen, wütenden Bewegung geworden.

http://www.ardmediathek.de/tv/die-story/Das-braune-Netzwerk/WDR-Fernsehen/Video?bcastId=7486242&documentId=39911410

wenn es nur so einfach wäre, dass das „Volk“ mal etwas rabiat-ruppig seine Meinung sagt. Diese politische Kultur kann nicht von den Inhalten und der Ideologie getrennt werden. Und die läuft darauf hinaus, dass den Worten auch die Taten folgen werden. Da wird der „Volkskörper“ ganz schnell von „Volksverrätern“ gesäubert werden.

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Bernd Matzkowski

der filmbeitrag, den ich allerdings schon vor dem schreiben meines kleinen unwort-kommentars gesehen hatte, trägt puzzle-teile zusammen. gut. besonders die passagen über herrn hoecke und seinen zu vermutenden alias-namen gefallen mir!
mir geht allerdings die dräuend-dramatische, unheil verkündende musik etwas auf die nerven. und natürlich, da stimme ich dir zu: der „pöbel“ (oder das volk) artikuliert sich momentan in einem umfeld, das einem schon angst machen kann – zudem spricht die gestiegene zahl von angriffen auf flüchtlinge, flüchtlingsheime, unterkünfte oder personen aus dem unterstützerumfeld eine deutliche sprache.
aber, wie schon an anderer stelle geschrieben: dass der ganze schmonzes jetzt hoch gespült wird- oder erst jetzt!-verdeutlicht eine gewisse selbstzufriedenheit der eliten in politik und medialer welt (man hat ja auch in den usa vor trump einen bestimmten teil des amerikanischen publikums wohl nicht auf dem schirm gehabt).
aber die wahl des begriffs wird die eliten nicht daran erinnern, mal genauer auf dieses volk zu schauen, auf die gründe seiner unzufriedenheit, seines hasses, seiner erregung, seiner feindbilder- er bestätigt ja nur, was man zu wissen glaubt bzw. die eliten zu wissen glauben: alles nazis, die da pöbeln. mit uns, unserer politik, unserem auftreten, unseren fehlern, ja- auch unseren lügen oder halbwahrheiten, hat das dann ja wohl nichts zu tun.
by the way: der ns-untergrund-prozess zeigt (wie die mehrjährige geschichte dieser gruppe und ihrer taten natürlich erst recht), wie blind die staatsorgane auf einem bestimmten auge sind.
andererseits: in letzter zeit geht die gewalt auf den straßen von ganz anderen seiten aus und die toten und verletzten gehen auf ein anderes konto.
das soll hier nicht gegeneinander auf- bzw. abgewogen werden, sondern nur sagen: einen solchen film kann man locker über die gewalttätige linke(in berlin und hamburg etwa) oder erst recht über terror aus der ecke islamischer gruppen machen oder hier einstellen.

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