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Vor vielen Jahren nahm ich ein Graffito zur Kenntnis, das ein Menschenfreund mit Farbe auf einer Mauer hinterlassen hatte. Es lautete: „Liebe Ausländer, lasst uns mit den doofen Deutschen nicht allein!“

Aus heutiger Perspektive kann man zu diesem Spruch etliches anmerken. Z.B. dass der Verfasser des Textes noch unbefangen das Wort Ausländer benutzt hat. Entweder, weil ihm der Begriff „Menschen mit Einwanderungsgeschichte“ oder „Mensch mit Migrationshintergrund“ noch nicht bekannt war, oder weil für diese längeren Formulierungen anstelle des kurzen Begriffs „Ausländer“ nicht genug Farbe in der Sprühdose war.

Dann, dass der Verfasser nicht mit einem modisch-aktuellen Anglizismus jongliert (refugees welcome), sondern sich der deutschen Sprache bedient. Das ist löblich, weil somit auch deutsche Nicht-Akademiker ohne Englischkenntnisse sprachlichen Zugang zum Graffito haben.

Zudem bietet der Spruch einigen Interpretationsspielraum. Zunächst wendet er sich an die „lieben Ausländer“, wobei er offen lässt, ob es auch „böse Ausländer“ gibt. Die „lieben Ausländer“ sollen „uns“ mit den „doofen Deutschen“ nicht alleine lassen, was zwei Fragen aufwirft. Wer verbirgt sich hinter dem „uns“ oder anders: wer ist hier überhaupt das sprechende (bzw. sprühende) WIR. Und wie ist das mit den „doofen Deutschen“? Gibt es auch „nicht-doofe Deutsche“? Vielleicht sind das die Deutschen, die zum sprühenden „Wir“ (uns) gehören? Oder sind alle Deutschen doof? Dann muss erst recht die Frage gestellt werden, um wen es sich beim sprühenden Wir handelt. Es könnte  also auch eine Gruppe Nicht-Deutscher sein, die sich selbst aber nicht als Ausländer sehen!

Zum Interpretationsspielraum gehört natürlich auch die Frage, wie hier die Eigenschaften „lieb“ und „doof“ überhaupt zu verstehen sind? Die Bezeichnung „doof“ hebt eher auf intellektuelle Qualitäten ab („doof wie Brot“), die Eigenschaft lieb bezieht sich auf emotionale Qualitäten, auf die Welt der Gefühle, so dass „lieb“ und „doof“ kein Gegensatzpaar sind. Jemand kann doof, aber lieb, ein anderer doof und nicht lieb, ein dritter nicht doof, aber trotzdem lieb sein usw. usf.

Meine Annahme ist, dass es hier  nicht um emotionale (lieb) oder intellektuelle (doof) Parameter geht, sondern um das große Feld der kulturellen Bereicherungen, weil das sprühende Wir den Akt des Sprühens wohl selbst nicht als Sachbeschädigung sieht, sondern als kulturelle Tat, nicht als justiziablen Angriff auf das Eigentum anderer, sondern als ästhetische-künstlerische Bereicherung des Wohnumfeldes. Letztlich, so steht zu vermuten, geht es wohl um das Aufbrechen der verfestigten deutschen Strukturen des Zusammenlebens, um die Auseinandersetzung mit deutscher Kleingeisterei und Spießigkeit: „Wein, Weib und Gesang“, Gartenzwergidylle, Waschzwang und Hygienefimmel sowie die Sekundärtugenden Ordnung, Disziplin, Pünktlichkeit und Sauberkeit, mit denen man, wie jemand Bekanntes mal gesagt hat, auch ein KZ leiten kann.

Kurz und knackig: der (oder die) Sprayer erhoffen sich von den „Ausländern“ eine kulturelle Auflockerung, eine ästhetische Bereicherung, eine positive Veränderung des Zusammenlebens.

Werfen wir also unter dieser Annahme ´mal einen Blick in den Alltag, einen Blick, der natürlich schlaglichtartig sein muss und deshalb auch verkürzt und zudem vermittelt über die Medien ist, die sowieso unter dem Verdacht stehen, die Wirklichkeit nicht mehr abzubilden. Zudem ist die Auswahl begrenzt und subjektiv, weil sie sich auf die letzten Tage bezieht. Einer wissenschaftlichen Betrachtung wird diese Herangehensweise natürlich nicht gerecht.

Beginnen wir einfach am 27.3.17. Da weist der WAZ-Autor F.Stenglein im Essener Lokalteil auf folgende Zahlen hin (Bezugsjahr 2016): der Anteil von Migranten an der Bevölkerung Essens beträgt 14%, an allen Straftaten haben Migranten einen Anteil von 41%. Bei den Verurteilten und im Knast Einsitzenden sieht das Verhältnis auch nicht besser aus, wobei bestimmte Gruppen von Migranten (etwa aus Nordafrika) wesentlich häufiger vertreten sind als andere und auch bestimmte Deliktgruppen (Raub, Diebstahl, Gewaltkriminalität) dieser Bevölkerungsgruppe häufiger zuzuordnen sind.

Am gleichen Tag vermeldet die WAZ, dass in den Düsseldorfer Schadow-Arkaden 20 Männer gewalttätig aufeinander losgegangen sind, so dass es über 40 Polizisten bedurfte, um die Streitenden zu trennen und unter Kontrolle zu bekommen. Den Empfehlungen des Presserates folgend, die Nationalität von Tätern nicht unbedingt zu nennen, unterbleibt eine solche Zuordnung, allerdings wird der Hinweis gegeben, dass es sich bei den Tätern um Angehörige zweier „Großfamilien“ gehandelt hat (der Begriff Clan wird vermieden). Wer in unserer Region lebt und den Begriff „Großfamilie“ hört, dem fällt es nicht schwer, die Streithähne kulturell zu verorten.

Die Alltagskultur bereichernde Familienfehden sind aber kein Privileg der Landeshauptstadt. Die Herforder Polizei musste Angehörige von zwei Großfamilien trennen, die sich zunächst auf dem Gelände eines Supermarktes und anschließend in den Eingangsbereichen von zwei Krankenhäusern eine blutige Auseinandersetzung lieferten, wobei von der kulturellen Technik des Messerstechens und Prügelns  so eifrig Gebrauch gemacht wurde, dass die Polizei zeitweilig die beiden Krankenhäuser absichern musste (WAZ .v. 30.3.2017). In der WAZ heißt es: „Die genauen Hintergründe des Streits und die Nationalität der Beteiligten konnte eine Polizeisprecherin auf Nachfrage nicht nennen.“

Aber doofe Deutsche werden es wohl nicht gewesen sein, denn die hätten ja, spießig wie sie nun mal sind, bestimmt ihren Ausweis dabei gehabt, so dass eine Feststellung von Identität und Nationalität schnell möglich gewesen wäre.

Dass, wie das Gesundheitsministerium NRW vermeldet (WAZ v. 30.3.17), die Zahl der von Genitalverstümmelungen betroffenen Frauen und Mädchen  zwischen 2014 und 2016 um 30%  gestiegen ist, wobei in ganz Deutschland – geschätzt- etwa 47 000 Frauen leben, die dieser Form der Gewalt und Körperverletzung ausgesetzt worden sind. Immerhin weist das Ministerium darauf hin, dass der sprunghafte Anstieg der Zahlen etwas mit dem Zuzug von Menschen aus den Ländern Somalia, Sudan, Ägypten, Mali, Äthiopien und Jemen zu tun hat.

Gehen wir, um das Thema „kulturelle Bereicherung“ abzurunden, noch auf die in den letzten zwei bis drei Tagen in diversen Presseorganen und im ARD-Fernsehen medial vermittelten Erfahrungen des Journalisten  Constantin Schreiber (ARD) ein, der – des Türkischen und Arabischen mächtig – in 13 verschiedenen Moscheen, und zwar solchen, die nicht als salafistisch, also als radikal-islamistisch gelten, über Wochen die Freitagspredigten angehört hat. Schreiber musste feststellen, dass in den Moscheen durchweg Broschüren anti-demokratischen Inhaltes auslagen, dass die Predigten offen oder verdeckt politisch aufgeladen  (Predigten auf Türkisch) oder konservativ von den Islamauffassungen her waren (Predigten auf Arabisch). Zudem waren die Predigten nicht dazu angetan, die Gläubigen zu einer Teilhabe an der demokratischen Ordnung und am Leben in Deutschland aufzurufen, sondern propagierten eher die Absonderung und ein verklärtes Bild des Orients. Auf Offenheit für an die Predigten anschließende Diskussionen traf Schreiber, der seine Erfahrungen in dem Buch „Inside Islam: Was in Deutschlands Moscheen gepredigt wird“ schildert, nicht. Gespräche wurden von vornherein verweigert oder verzögert, bis sie schließlich nicht mehr zustande kamen. (Quelle zu  C. Schreiber:Interview in www.dw.com)

Soweit mein kleiner, ganz subjektiver Schlaglicht-Rundblick, der nicht den Anspruch erhebt, die Wirklichkeit abzubilden.

Was mich aber ärgert: Wenn ich nur wüsste, wo ich diesen Spruch gelesen habe! Ich würde mir glatt eine Sprühdose kaufen und daneben setzen, natürlich in meiner besten Handschrift: Oh Herr, schick Hirn vom Himmel!

 

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Aus heutiger Perspektive könnte man zu dem Spruch vielleicht auch anmerken, dass die Pointierung auf „Gute“ Ausländer und „Doofe“ Deutsche die sympathisch augenzwinkernde ironische Beschreibung des Ergebnisses der Auseinandersetzung der Kinder- mit der Elterngeneration der 60ziger und 70ziger Jahre ist.

Nur Ethnologen und wenige Hebammen und Gynäkologen wussten damals etwas mit Klitoris-Beschneidungen anzufangen. Den Sextourismus der europäischen Damen nach Westafrika hat man entweder nicht thematisiert oder unter „nachholende Emanzipation auf der Metaebene“ gedacht.

Sicher wussten wir von den Umtrieben der „grauen Wölfe“ – wir wussten von den Knieschießereien der Kurden, wenn die Schutzgeld kassierten. Wir wussten oder ahnten, das Triaden mit mischen, wenn wir Peking-Gulasch-Suppe mit Stäbchen aßen. Ich kenne einen LKA Beamten, der vor 20 Jahren vorzeitig pensioniert wurde, weil er an dem Widerspruch zwischen seiner Arbeit (Triaden) und den nicht öffentlich kommunizierten Grausamkeiten dieser speziellen Gruppe zerbrach.

Lange bevor politisch, sozial und kulturell fragwürdige Figuren brutal und mit nihilistischer Gewalt der Gesellschaft die Auseinandersetzung über Konflikte zwischen verschiedenen Kulturen aufzwangen, wussten, ahnten, spürten, analysierten Humanisten, emanzipatorische Freigeister oder auch verheiratete, verbeamtete Teilzeit-Revolutionäre, dass sich da kaum lösbare Widersprüche vor uns auftürmen.

Uns hat das anarchische, revolutionäre, wilde, emanzipatorische angezogen. Aber mit Rentenanspruch und Krankenversicherung. Wir wollten Alexis Zorbas sein, aber mit unzerstörbarem Schrebergarten-Heiligtum. Und das vage, ungefähre, sollte mit dem präzisen, gesicherten korrespondieren.

So etwas geht nicht immer gut und führt manchmal dazu, dass die eigenen Träume von folgenden Generationen auf die Anklagebank gezerrt werden. Oft von grauen Zeitdieben, die fest vertäut, im Hinterland ankernd, über Tsunamis schwadronieren, die sie, wenn sie nur wollten oder wenn man sie nur ließe, mit einer Geste beruhigen würden. Aber Tango, Fado, Flamenco, Gyros, Pizza, Köfte, Civapcici, mediterrane Gewürze, Kötbullar, Ikea, holländische Wohnwagen, polnische Nachnamen, französische Animelles, baskische und irische Bomben, sizilianische Mafia, terroristische Finanzspekulanten, David Garret, Andre Rieu, Heintje … und und und.. können doch nicht nur falsch gewesen sein. Oder?

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Bernd Matzkowski

ja, natürlich- wir waren- und sind wohl noch- voller widersprüche. wir waren kriegsdienstverweigerer, haben aber auch mal den vietkong unterstützt(sieg im volkskrieg) oder mit dem palästinenserschal gewunken. bei etlichen waren sogar punktuelle symapthien mit den mördern aus der reihe der raf vorhanden. aber diese widersprüche haben auch dazu geführt, dass man sich -letztlich – aus bestimmten zwangsjacken befreit hat(wobei ich auch leute kennen gelernt habe, die an diesen widersprüchen zerbrochen sind und nur noch am rad gedreht haben).
und natürlich: wir beide haben z.B. nicht den mut gehabt, alles auf die karte kabarett zu setzen und damit unser einkommen zu bestreiten. das alles waren widersprüche in uns- als widerspiegelung tatsächlicher widersprüche außerhalb von uns, von denen wir naiv glaubten, sie lösen zu können- wie wir ja überhaupt meinten, die ganz welt retten zu können.
ich sehe aber, zumindest ist das die intention meines beitrags, dass da heute was anderes läuft: uns wird das scheitern einer politik, zb das scheitern der integration, als erfolgsgeschichte verkauft, wozu man die wirklichkeit verkleistern muss. das ist-anderes beispiel- in der schulpolitik in nrw nichts anderes. wir waren ein gutes stück naiv, hier sind leute am werk, die, so vermute ich, wissen, dass das weltbild, das sie uns verkaufen, nicht stimmt.
das schlimme daran ist: genau das führt dazu, dass die leute, die wir überhaupt nicht mögen, sich am rechten rand vermehrt sammeln.

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Heinz Niski

Alltagsszenen – heute Morgen am Taxistand gegenüber – ein Auto mit zwei sehr jungen türkisch/kurdisch/libanesisch aussehenden Männern blockiert den Taxiparkplatz. Die jungen Männer wollen nicht wegfahren und legen sich mit zwei wesentlich älteren, beleibteren, größeren, kräftigeren Taxifahrern an. Man erklärt sich gegenseitig die territorialen Rechte und schubst sich herum. Es fallen hässliche Worte. Handys werden gezückt. Wohl kaum um übergeordnete Instanzen das Problem lösen zu lassen, oder um juristischen Beistand zu ordern.
Die jungen Männer gaben – warum auch immer – nach und fuhren weg.
Es hätte auch anders kommen können, 30-40 Kollegas wären schnell vor Ort, um die Sache in ihrem Sinne zu regeln.
Ich suche die kulturelle Bereichung dieser Aktion. Ich suche den politischen Sinn dieser Widerständigkeit. Ist das so, wie unser absichtliches trampeln damals über mit „Betreten Verboten“ Schildern geschützen Rasenflächen? Was zu Liegewiesen einerseits und zu kaputten Rasenflächen anderseits führte… aber vor allem preußische Zucht und Spießertum hinterfragte.
Was ist das revolutionäre, wenn man Taxistände aus Bequemlichkeitsgründen blockiert? Dass Hedonismus zur Leitkultur erhoben wird? Dass das „Große Ganze“ Kleinteilig geschreddert wird und dem Paternalismus die rote Karte gezeigt wird… Ich weiss das alles nicht. Ich weiss allerdings, dass ich solche Szenen nicht vor meiner Haustür miterleben will.

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