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 Meine ganz und gar subjektive ausgewählte Lieblings-Nachricht des Tages findet sich auf Seite 5 der WAZ von heute. Es geht um einen Prozess vor dem Verwaltungsgericht in Münster. Kläger ist eine Familie aus der Ukraine. Die Familie war 2014 aus der Ukraine eingereist und hatte mit der Behauptung einen Asylantrag gestellt, es handele sich bei ihr um eine syrische Flüchtlingsfamilie. Das Bamf beschied – ohne Anhörung – im schriftlichen Verfahren den Antrag positiv und wies der Familie einen Platz in einer Flüchtlingsunterkunft in Münster zu.

Inzwischen flog der Schwindel auf, wohl weil die Familie lauthals und mehrfach damit geprahlt hatte, wie einfach es in Deutschland sei, als Flüchtling anerkannt zu werden.  Das Bamf  nahm die Anerkennung wieder zurück! Gegen diese Entscheidung des Bundesamtes klagt nun die Familie unter Berufung auf den Vertrauensschutz (!!!).

Der Familie aus der Ukraine scheint es also in der Bundesrepublik zu gefallen, und offensichtlich ist auch die staatliche Alimentierung so großzügig, dass es sich für die Familie hier besser leben lässt als in der Ukraine. Eine Rückkehr in die alte Heimat wird also nicht als erstrebenswertes Ziel gesehen.

 

Schauen wir vor diesem Hintergrund einmal auf einen Text von Brecht aus dem Jahre 1937, geschrieben im Pariser Exil, in das Brecht vor den Nazis geflohen war. Brechts Gedicht trägt den Titel „Über die Bezeichnung Emigranten“. In der ersten Strophe heißt es:

 „Immer fand ich den Namen falsch, den man uns gab:
Emigranten.
Das heißt doch Auswandrer. Aber wir
Wanderten doch nicht aus, nach freiem Entschluss
Wählend ein andres Land. Wanderten wir doch auch nicht
Ein in ein Land, dort zu bleiben, womöglich für immer
Sondern wir flohen. Vertriebene sind wir, Verbannte.
Und kein Heim, ein Exil soll das Land sein, das uns da
aufnahm“

Brecht wehrt sich zunächst gegen die Bezeichnung Emigrant. Er beharrt vielmehr darauf, ein Verbannter, ein Vertriebener – kurz ein Flüchtling zu sein („wir flohen“). Das neue Land ist ihm Exil und soll nicht Heimat werden. Und er beabsichtigt nicht, in diesem Land des Exils zu bleiben, sondern er will zurückkehren. Diese Absicht wird in der dritten Strophe noch einmal ausdrücklich als fester Wille betont, wenn Brecht schreibt:

„Aber keiner von uns

Wird hier bleiben.“

 

In der zweiten und dritten Strophe geht es um Befindlichkeiten, Einstellungen, Emotionen, politische Haltungen.

Begierig werden Nachrichten aus der Heimat erwartet, jeder neue Ankömmling wird befragt. Und die Not und das Elend derjenigen, die in der alten Heimat gefangen sind, die nicht das (nahezu als beschämend empfundene) Glück hatten, rechtzeitig fliehen zu können, werden benannt.

„Unruhig sitzen wir so, möglichst nahe den Grenzen
Wartend des Tags der Rückkehr, jede kleinste Veränderung
Jenseits der Grenze beobachtend, jeden Ankömmling
Eifrig befragend, nichts vergessend und nichts aufgebend
Und auch verzeihend nichts, was geschah, nichts verzeihend.
Ach, die Stille der Sunde täuscht uns nicht! Wir hören die
Schreie“
In der dritten Strophe taucht ein weiterer Aspekt auf. Jeder Flüchtling, so sieht es der Sprecher des Textes, ist gleichsam ein Zeugnis der Schande, die in  der alten Heimat herrscht, dokumentiert das Unrechtssystem, das an der Macht ist und das Land „befleckt“.
„Aus ihren Lagern bis hierher. Sind wir doch selber
Fast wie Gerüchte von Untaten, die da entkamen
Über die Grenzen. Jeder von uns
Der mit zerrissenen Schuhn durch die Menge geht
Zeugt von der Schande, die jetzt unser Land befleckt.
Aber keiner von uns
Wird hier bleiben. Das letzte Wort
Ist noch nicht gesprochen.“

 

Wenn es dann am Ende heißt:

„Das letzte Wort

Ist noch nicht gesprochen“,

geht es um eine Hoffnung und eine (Selbst-) Verpflichtung zugleich. Die Hoffnung besteht darin, dass es in Zukunft eine Veränderung zum Besseren geben wird, die Selbstverpflichtung besteht darin, nach der Rückkehr am Neuanfang mitzuwirken.

 

Sind diejenigen, die in Millionenstärke seit der Öffnung der Grenzen zu uns gekommen sind und Tag für Tag kommen, Flüchtlinge im Sinne Brechts? Sehen sie Deutschland als Station bis zu ihrer Rückkehr in die alte Heimat, an deren Neugestaltung und/oder Wiederaufbau sie teilhaben wollen und werden? Oder sind sie „Versorgungssuchende“, um einen Begriff von Prof. G. Heinsohn zu verwenden, die sich hier einrichten wollen, so wie die Familie aus der Ukraine, weil ein Leben im Sozialsystem der Bundesrepublik (immer noch) angenehmer und komfortabler ist als das Elend in der Heimat?

Weil wohl eher letzteres der Fall ist, wird von verschiedenen Seiten der Begriff Flüchtling auch nicht mehr so gerne verwendet, weil jemand, der auf der Flucht ist, seine Flucht auch einmal wieder beendet, um zum Ausgangspunkt seiner Flucht zurückzukehren.

So prägte Kanzlerin Merkel nach ihrem ersten Satz für die Geschichtsbücher („Wir schaffen das.“) vor einiger Zeit auch noch eine zweite Phrase, die  im Kern wohl so zu verstehen ist, dass unsere Regierung keinen Souverän mehr (aner-)kennt, sondern nur noch „diejenigen, die schon länger hier leben“ und „die, die neu dazugekommen sind.“(Merkel auf dem 9. Integrationsgipfel). Hier handelt es sich wohl nicht um eine missglückte Formulierung, sondern um eine bewusste Setzung, die das Wort Flüchtling vermeidet.

(Die Übergriffe auf Frauen zum Jahreswechsel 2015/16 in Köln und anderswo wurden also nicht von Flüchtlingen oder Nordafrikanischen Intensivtätern begangen, sondern von Menschen, die neu dazugekommen sind!)

Das Wort „Flüchtling“ wird aber auch von anderen Seiten vermieden, weil, so die Argumente, es sich nicht gendern lässt und das Suffix –ling einen diskriminierenden, zumindest aber abschätzig klingenden Kern haben soll.

Was das gendern angeht: In der Tat. Nomen, die mit dem Suffix – ling gebildet werden, lassen sich, das ist sprachsystemisch so, nicht in die weibliche Form setzen, sondern sind durchweg maskulin. Deshalb kennen wir keine Flüchtlingin und keine Säuglingin, wir kennen einen Findling, aber keine Findlingin, es gibt den Stichling, aber keine Stichlingin, wogegen es im Strafgesetzbuch immer nur noch den Mörder gibt (Mörder ist, wer…), wir die Mörderin aber bisher nicht kennen !

Dass Nomen, die auf –ling enden, generell diskriminierend sind (es gibt in der deutschen Sprache rund dreihundert –ling-Worte), ist wohl eher eine Überempfindlichkeit gegen Begriffe wie Sträfling, Wüstling, Feigling, Naivling und Setzling, Däumling oder Bratling! Und vielleicht auch gegen Frühling und Liebling!  Und natürlich: wir vermissen schmerzlich (oder etwa nicht?) die Frühlingin und die Lieblingin!

 

Als Lösung für das Problem tauchen vermehrt Konstruktion wie „Geflüchtete“ auf, die sich maskulin und feminin verwenden lassen (der und die Geflüchtete). Aber ein Geflüchteter, aus dem Partizip 2 sprachlich durch Nominalisierung konstruiert („geflüchtet“), ist – im engeren sprachlichen Sinne – bereits geflüchtet, ist folglich nicht mehr auf der Flucht, sondern vielmehr schon angekommen.

Und jemand, der, weil es ihm zu laut war oder wegen einer Prügelei, von einer Party geflüchtet ist (oder aus Angst vor Bestrafung von einem Unfallort), ist noch lange kein Flüchtling!

Und deshalb: Flüchtlinge, jedenfalls solche, wie sie Brecht im Gedicht beschreibt, wird es wohl bald nicht mehr geben. Dafür sorgen die Sprachverbesserer, die diejenigen, die noch nicht so lange hier leben, sprachlich ins Staatsvolk einpflegen !

 

 

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Ich mache da gerade so einen Film.. der die semantischen etc. Probleme sicher nur am Rande streift. Möglicherweise – und vor allem hoffentlich – aber die klare Trennung in S/W Gut/Böse Nützlich/Schädlich relativiert.
Aber – ich bekomme es persönlich auch nicht aufgelöst: ich kenne mittlerweile zu viele Glücksritter, die hier perspektivlos bleiben werden und dort wo sie her kamen, ein sicheres Leben und gutes Auskommen hatten.

https://youtu.be/OINVuv0Cr7A

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Heinz Niski