Als Gelsenkirchener freut man sich natürlich über positive Meldungen, etwa über das putzige Eisbären-Baby im heimischen „Zoom“(dass drei von vier Eisbären-Babys nach der Geburt gestorben sind, wollen wir mal vergessen) und den momentan relativ guten Tabellenplatz des FC Schalke 04.
Denn oft genug ist unsere gebeutelte Stadt mit Spitzenplätzen negativ in den Schlagzeilen, so etwa mit den Dauerbrennern: höchste Arbeitslosenquote, die weit über dem Landesdurchschnitt liegt, viele Langzeitarbeitslose, viele Schulabgänger ohne Abschluss, viele HartzIV-Empfänger, viele innerstädtische Baustellen und viel zu enge Eingangstüren zum Hauptbahnhof, dessen Dienststelle der Bundespolizei auch nicht immer ausreichend besetzt ist.
Da freut man sich doch über neue Spitzen-Meldungen:
Im Spitzenbereich liegt Gelsenkirchen nach aktuellen Zahlen im Gerichtswesen und bei den KITA-Plätzen.
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, zuständig auch für andere Städte, so etwa Dortmund, Lünen, Schwerte und Castrop-Rauxel, meldet einen neuen Höchststand bei Verfahren zum Asylrecht.
Die 19 Kammern des Verwaltungsgerichts verzeichneten im Jahr 2017 insgesamt 16847 Verfahrenseingänge. 66 Prozent davon betreffen das Asylrecht. Dabei ist das Niveau bei asylrechtlichen Streitfällen im Vergleich zu 2016 noch einmal gestiegen. 8895 Klage- und 2227 Eilverfahren gingen am Gericht ein.
Über 11000 Neufälle (Klage- und Eilverfahren) waren also im Asylrecht 2017 zu verzeichnen, gegenüber dem Vorjahr ist das eine Steigerung von deutlich über 40%. Von den Asylfällen waren Ende des Jahres 2017 noch 9200 offen. Um diese Altlasten im laufenden Jahr überhaupt abtragen zu können und den Berg der neuen Verfahren in 2018 nicht weiter anwachsen zu lassen, helfen nicht nur Richter aus anderen Rechtsbereichen (so etwa Finanz- und Arbeitsrecht) aus, sondern es wurde eine weitere Kammer eingerichtet, so dass das Gelsenkirchener Verwaltungsgericht nun 20 Kammern hat – ein neuer Spitzenwert! Dass die Zahl der Richterstellen (bisher 80) und der Stellen für Verwaltungsmitarbeiter zusätzlich aufgestockt werden, versteht sich da von selbst!
Einen Spitzenplatz nimmt Gelsenkirchen auch ein, was die Anzahl von Kindern mit „Migrationshintergrund“ in Kitas angeht. Nach den neusten Landeszahlen des Regionalverbandes Ruhr (Quelle: WAZ v.18.1.18, Mantelseite 4) kamen 41,5% aller Kita-Kinder in Gelsenkirchen aus dieser Gruppe (Stand 1.3.2017). Damit lag Gelsenkirchen vor anderen Städten aus dem Ruhrgebiet wie Herne, Dortmund oder Essen. Gemeinsam mit Duisburg hält Gelsenkirchen den Spitzenplatz in der Gruppe der Kinder, bei denen zu Hause überwiegend kein Deutsch gesprochen wird (40%, Ruhrgebietsdurchschnitt 29%), wobei insgesamt die Zahl der Familien, in denen überwiegend kein Deutsch gesprochen wird, um 22% gewachsen ist.
Man könnte die beiden genannten Bereiche nun so zusammenfassen: Obwohl die Zahl derjenigen Menschen mit „Migrationshintergrund“, in denen überwiegend kein Deutsch gesprochen wird, anwächst und in Gelsenkirchen einen Spitzenwert erreicht, was für die Zielsetzung „Integration“ nicht gut ist, wird das dadurch kompensiert, dass die Inanspruchnahme von Rechtsmitteln, etwa vor dem Verwaltungsgericht, durch Menschen dieser Gruppe steigt, was immerhin auf eine Integration in unser Rechtswesen hindeutet und zugleich ja auch Arbeitsplätze schafft.
Das ist doch spitze, oder?
Ach ja! Ich gehöre übrigens zu den 34% ohne Migrationshintergrund (wenn man einmal von der Einwanderungsgeschichte meiner Familie absieht), die 2017 vor dem Verwaltungsgericht geklagt haben – gegen die Stadt Gelsenkirchen wegen eines Gebührenbescheides. Im Juli 2017 habe ich die Klage eingereicht, Anfang August hat mir das Verwaltungsgericht einen Bescheid über Gerichtsgebühren zugestellt. Eine Entscheidung habe ich noch nicht, noch nicht einmal einen Verhandlungstermin – ich setze meine Hoffnung in die neue (20.) Kammer !
Ich gehöre zu den Gelsenkirchenern mit Migrationshintergrund in dritter Generation, spreche aber überwiegend Deutsch zu Hause.
Ich habe eine solche Klage wegen Untätigkeit (Stichwort „Wir schaffen das – tun aber nix“ ) begleitet.
Hintergrund war die Untätigkeit des BAMFs und damit die Verhinderung der zeitnahen Integration eines Flüchtlings (aka „Geflohenen“ aka „Zugewanderten“ aka „Zugereisten“) Nach fast 2 Jahren ist eigentlich immer noch nichts entschieden und die Integration fand in Eigeninitiative und durch zivilgesellschaftliches Engagement statt.
Die Behörden erwiesen sich eher als Behinderer und / oder mit sich selbst beschäftigt.
Kreativ war nur eine Mitarbeiterin des Verwaltungsgerichts, die die Klage wegen „Untätigkeit“ folgendermaßen aufnahm: „wollen Sie uns wirklich noch mehr Arbeit aufbürden? Wann haben Sie sich denn beim BAMF beschwert?“
Ich im Namen des Flüchtlings (aka „Geflohenen“ aka „Zugewanderten“ aka „Zugereisten“) ..“vor rund drei Monaten“.
Sie: „vor nicht ganz drei Monaten? Dann erfüllen Sie nicht die Kriterien für eine Beschwerde. Ich werde Ihre Klage aufnehmen, sie wird aber nicht behandelt werden.“
Das Hauptproblem sehe ich aber auch in der Frage der zu engen Eingangstüren im Bahnhof. Schließlich kommen sich gerade da Menschen sehr nah, manchmal zu nah, ohne dass sie sich sprachlich verständigen können. Man ist zurück geworfen auf die Anfänge der Menschheit, man arbeitet mit Körpersprache, Mimik, Gestik, auch schon mal mit Körpermasse, selten aber mit einem netten Wort.
In diesem Sinne playdiere ich zum Zwecke des gelungeren Miteinanders für breitere Türen.
Ich glaube, dass man bei den Umbauplanungen für den Ge-Bahnhof (früher:Größte beleuchtete Pissrinne Europas) bewusst auf kleine Türen gesetzt hat, wobei es ja auch insgesamt im Bahnhof flächenmäig etwas kleiner geworden ist. Die Enge der Türen und die kleinere Fläche erzeugen im Zusammenspiel häufig das Gefühl, man befände sich in einem Metropolen-Bahnhof, weil es vor Menschen nur so wimmelt (ich vermute auch, dass der Erfinder der Wimmelbücher sich mal im Ge-Bahnhof aufgehalten hat). Dass es zu Körperkontakten kommt, wird vor allem für Frotteure ein Vorteil sein, weil man hier im Bahnhof, ohne in Verdacht zu geraten, seine sexuelle Orientierung ausleben kann.
Unabhängig davon:Wenn ich durch den Bahnhof gehe, denke ich immer häufiger an Michael Douglas, wie er zu Beginn des Films „Falling Down“ im Stau steht, bevor er schließlich sein Auto verlässt und zum „Rambo“ wird.
Durch die Assoziation zum „Falling Down“ Film entlarvst du dich selbstverständlich als alten weißen (rassistischen) Mann, der irgendwie Dinosaurier, aber nicht auf der Höhe der Zeit, zu Recht auf Facebook entfreundet werden würde. Wenn du denn ein Facebook Account hättest.
Ich habe einen.
Kritik am Falling Down war ja, dass die realistische Beschreibung von Missständen unentwirrbar vermischt scheint mit Vorurteilen und rassistischen Elementen. Und dass eine emotionale Reflexion die Zustände festschreibt, statt sie zu lösen.
In diesem Sinne also wäre eine coole, positivistisch-futuristische Ode an den Bahnhof GE angebrachter. Versuche es mal. Das schaffst du.
Nebenbei wurde mir vor zwei Wochen zum Trost (!!!!) erklärt, dass ich mich in einem persönlichen „Falling Down“ Film befände und mir Verständnis gezollt.
Macht aber dennoch einsam, weil es nicht aktueller Mainstream ist und man sofort dumpfdummer Nazirassist ist, wenn man selbstverständliches selbstverständlich einfordert.
Hätte es Trump als Kandidaten schon gegeben, dann hätte M.D.(den Namen der Filmfigur müsste ich nachschauen) ihn sicher gewählt.
Und was die positive Ode angeht:da habe ich ja schon viele Vorschläge gemacht(an einen hat Paul B. neulich mal wieder erinnert): die Bahnhostraße fluten und einen Gondelverkehr einrichten. Dann war da noch: eine Lachszuchtanstalt im Stadthafen usw.
Was den Bahnhof angeht:Eines meiner Lieblingsstücke ist ja Peter Handkes „Die Stunde ,da wir nichts voneinander wussten“.Das wird eigentlich rund um die Uhr an 7 Tagen in der Woche im Bahnhof aufgeführt. Und manchmal spiele ich halt mit.
im Original der Titel ohne Komma.
Das Stück besteht eigentlich „nur“ aus der aneinandergereihten Nennung von Figuren. Ich habe es mal mit 45 Schülerinnen und Schülern aus Deutschland, Polen und Frankreich im französischen (Schulpartner-)Städtchen von Gladbeck inszeniert.
Hier mal ein link zu einer der zahlreichen Bühneninszenierungen(Ausschnitt)
https://www.youtube.com/watch?v=xt00YND62EI
Starkes Stück, aber letztlich immer nur so gut, wie das Publikum selbst.
Man kann aber auch tricksen und sich alles schön reden, färben, rechnen, wie z.B. die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss in GE. Die liegt nämlich bei U 12 %, eigentlich bei 0 % wenn man es richtig betrachtet.
https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/warum-in-gelsenkirchen-so-viele-ohne-abschluss-gehen-id212079725.html
So gesehen ist die hohe Zahl derjenigen, die zu Hause kein Deutsch sprechen, ein Leuchtturmbeispiel gelebter polyglotter Multilingualität, statt eines Integrationshindernisses. Wobei man ja auch mal wieder die Frage stellen müsste, ob Integrationsforderungen nichts als Kulturfaschismus ist……..