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Buer im Mittelalter

Zunächst der weite Blick zurück, weil Geschichte der Selbstvergewisserung dient und daher Teil urbaner Identität ist oder doch dazu gemacht wird. So erinnert man sich in Buer gerne einer über 1.000-jährigen Geschichte als Gemeinwesen, das schon vor der Industrialisierung im Mittelalter über begrenzte Selbstverwaltungsrechte verfügte. Wie die älteren Freiheiten und Städte im Ruhrgebiet entstand Buer am Schnittpunkt wichtiger alter Fernwege von Dorsten nach Bochum, von Essen ins Vest Recklinghausen. Fruchtbare Böden begünstigten die Landwirtschaft. Das unterscheidet Buer von vielen anderen Ruhrgebietsstädten, die eher auf der grünen Wiese entstanden, oder schlimmer noch, wie ein Oberhausener Bürgermeister mal sagte, „auf öder Heide“.

Alt-Gelsenkirchen war auch vor der Industrialisierung wesentlich kleiner als Buer, profitierte dann aber von einem neuen, allerdings zunächst recht schäbigen Bahnhof und der an der Bahnlinie angesiedelten Industrie. Buer war in vorindustrieller Zeit allerdings auch kein wirklich zentraler Ort wie Duisburg am Rhein, die freie Reichsstadt Dortmund oder die Zentren in Essen und Werden mit Reichsstift und Kloster.

Das Dorf bzw. das Kirchspiel mit seinen Bauerschaften gehörte zum kirchlichen Besitz, letztlich des Kölner Erzbischofs. Die damaligen Bauerschaften bilden bis in die Gegenwart Siedlungskerne:

Diese Bauerschaften heißen Scholven, Hassel, Löchter, Eckeresse, Surresse, Middelich, Erle, Sutum, Beckhausen, Holthausen, Heege, Bülse.

Der kirchliche Grundbesitz und seine Verwaltung förderten die Entstehung eines kleinen Dienstadels, dessen Rittergüter Lüttinghof, Oberfeldingen, Uhlenbrock, Hamm, Berge, Balken, Dahl und Leithe ringsförmig um das Dorf mit der Kirche lagen. Im agrarisch geprägten Gebiet nördlich des mäandernden Flüsschens Emscher war die Landgemeinde Buer ein überwiegend von Handwerkern und Händlern mit landwirtschaftlichem Nebenerwerb bewohntes Kirchdorf.

Buer erhielt 1448 die mittelalterlichen Freiheitsrechte, also eingeschränkte Selbstverwaltungsrechte der Bürger in Buer, das Recht zur Befestigung des Ortes und Marktrechte. Der Bürgermeister führte als Amtssiegel eine bewurzelte Gerichtslinde mit dem angelehnten kurkölnischen Wappen (Schild mit schwarzem Kreuz). Elemente dieses alten Wappens leben bekanntermaßen bis in die Gegenwart fort. In der Freiheit Buer vollzog sich das Leben in den ruhigen Bahnen des Landlebens. Nach den Erschütterungen der Reformation stellte der Dorfbrand von 1688, dem fast die ganze Bebauung zum Opfer fiel, einen tiefen Einschnitt dar. Die Wiederherstellung des Dorfes dauerte lange und erfolgte nicht ohne Rückschläge. Erst nach dem Siebenjährigen Krieg ab 1763 erfolgte eine langsame Verbesserung der sowieso durch wiederholte Krisen gefährdeten Lebensverhältnisse der mittelalterlichen Bevölkerung.

Im Zeitalter der europäischen Revolutionen und der französischen Vorherrschaft in Europa erfolgten grundlegende Veränderungen: Nach über einem halben Jahrtausend der Herrschaft des Kölner Krumstabes im Vest Recklinghausen kam Buer 1802 mit der Aufhebung der geistlichen Herrschaft zunächst an den Herzog von Arenberg und 1811 zum Großherzogtum Berg, einem Satellitenstaat des napoleonischen Frankreich. Nach den französischen Regelungen wurde Buer eine Mairie, also eine Bürgermeisterei, mit den entsprechenden Rechten. Nachdem im Mittelalter die Bauerschaften ihr tägliches Leben selbst gestaltet hatten, wurden nun die Freiheit und die Bauerschaften zusammengefasst und ein einheitliches Gemeindegebiet geschaffen, eine wichtige Voraussetzung für die spätere relativ einheitliche Entwicklung in Buer. Auch nach dem Übergang von Rheinland und Westfalen an Preußen, also der Bildung der beiden preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen nach dem Wiener Kongress von 1815, wurde Buer zunächst als Bürgermeisterei verwaltet. 1844 wurde das sogenannte Amt Buer gebildet.

Es umfasste neben dem eigentlichen Ort mit der Kirche die Bauernschaften Mittel- und Niederscholven, Hassel, Löchter, Bülse, Heege, Holthausen, Beckhausen, Sutum, Erle, Middelich, Surresee, Eckernresse und die Gemeinden Gladbeck, Westerholt und Horst. Das Amt Buer gehörte zum Landkreis Recklinghausen im Regierungsbezirk Münster. In der Industrialisierung schieden Gladbeck 1885 und Horst 1891 aus dem Amtsverband aus. Mit der Eingliederung in den Landkreis verlor Buer im preußischen Obrigkeitsstaat an Rechten. Die Preußen verließen sich lieber auf die von oben ernannten Landräte und ihre Gendarmerie, zumal die preußischen Protestanten eher misstrauisch gegenüber der fast ausschließlich katholisch gebliebenen Bevölkerung im Vest waren. So hatte zunächst der Maire (Bürgermeister) der napoleonischen Zeit, Graf Wilhelm von Westerholt, als Bürgermeister und landrätlicher Kommissar für den Landkreis Recklinghausen bis 1819 weiteramtiert. Ihm war als Bürgermeister Wilhelm Tosse gefolgt, ab 1849 übernahm dann Felix Hölscher die Leitung des Amtes Buer, schließlich unter der Bezeichnung Amtmann. Sein Nachfolger wurde 1886 August de la Chevallerie, in dessen Amtszeit dann auch die Beantragung der Verleihung von Stadtrechten fiel und der 1911 kurz noch als kommissarischer Bürgermeister der neuen Stadt Buer amtierte.

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Von Stefan Goch

Stefan Goch ist Jg. 1958, Sozialwissenschaftler, Dr. soc., Leiter des Instituts für Stadtgeschichte in Gelsenkirchen, apl. Prof. an der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum

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