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Ein wissenschaftlicher Beobachter (Theodor Feldhege) beschrieb die wachsende Industriegemeinde Buer gegen Ende der 1920er Jahre für das Jahr 1895, als Buer schon über 16.000 Einwohner hatte, auf der Grundlage der zeitgenössischen Überlieferung, die heute so nicht mehr zugänglich ist, folgendermaßen – mit einigen Auslassungen:

„Trotzdem der Kohlenbergbau schon seit einer Reihe von Jahren in einzelnen Randgebieten des Gemeindebezirks (Beckhausen: 1873/79, Erle: 1882/84) Einzug gehalten hat, trägt das 6.200 ha große Gemeindegebiet im Jahre 1895 immer noch den Stempel eines alten Ackerdorfes. Nur wenige öffentliche Gebäude (Amtshaus, die hölzerne Markthalle, 2 Schulgebäude und ein Spritzenhaus) tragen dem öffentlich-wirtschaftlichen Raumbedürfnis Rechnung; der gesamte gemeindliche Grundbesitz einschließlich steuerfreier Wegeflächen (2,86 ha) beläuft sich auf 8,52 ha […] Die wenigen durch Aschebelag notdürftig fahrbar gehaltenen Gemeindewege des inneren Gemeindebezirks warten ebenfalls noch auf ihren straßenmäßigen Ausbau; ihre Zahl ist im übrigen noch derart gering, daß ihnen zur Unterscheidung bis zum Jahre 1895 nicht einmal offiziell ein Name zugeteilt worden ist. Bei Dunkelheit werden die Hauptwege durch vereinzelt angebrachte Öllampen spärlich beleuchtet. Eine planmäßige Reinigung oder Entwässerung ist den Buerschen Kommunalwegen fremd; die Niederschlag- und Schmutzwässer werden durch offene Gräben aufgenommen und in die das Gemeindegebiet durchziehenden größeren Dorfgräben geleitet. […] Der Schnellverkehr zu den Nachbargemeinden liegt natürlich ebenfalls noch sehr im argen; Postkutsche und Fuhrwerksverkehr sind die Vorläufer der heutigen modernen Verkehrsmittel; eine Straßenbahn berührt den Gemeindebezirk nicht; die den südlichen Zipfel des Gemeindegebiets durchschneidende, im Jahre 1880 erbaute Eisenbahnlinie Winterswyk-Wanne ist das einzige Beförderungsmittel, das nach langwierigem Fußmarsch bis zum abgelegenen Bahnhof eine schnellere Überwindung von Entfernungen gewährleistet. […]“.

1913, Buer war mittlerweile Stadt geworden und die Kreisstraßen in ihren Besitz übergegangen, verfügte die Stadt über 203 km Straßen, von denen nur 4.750 m gepflastert waren, 77,3 km chaussiert und etwa 120 km waren Asche- oder Sandwege. Die Urbanisierung blieb auch sozialstrukturell gegenüber herkömmlichen Städten unvollständig: Von Süden nach Norden immer schwächer ausgeprägt, bildete sich aus den wenigen alteingesessenen Familien, zugezogenen Kaufleuten, Handwerkern und wenigen Angestellten der Montanindustrie eine nur schmale bürgerliche Mittelschicht. Zum Bürgertum, das durchaus vorindustriellen Orientierungen verhaftet bleiben konnte, gehörten auch die meisten zugezogenen preußischen Beamten und wenigen Vertreter freier Berufe. Die Angehörigen dieser schmalen Mittelschicht lebten in Buer-Mitte, um das sich in einigem Abstand die verschiedenen Schachtanlagen mit den Siedlungen für die Arbeiterschaft gruppierten. Inwieweit bis in die Gegenwart Unterschiede zwischen Buer-Mitte und den „Satellitensiedlungen“ drumherum bestehen, können Sie an Ihren kognitiven Karten prüfen. Sozialraumanalysen zeigen jedenfalls objektivierbare Strukturunterschiede, und subjektivere mental maps bestehen in der Bevölkerung.

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Von Stefan Goch

Stefan Goch ist Jg. 1958, Sozialwissenschaftler, Dr. soc., Leiter des Instituts für Stadtgeschichte in Gelsenkirchen, apl. Prof. an der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum

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