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Falsche Symbolik

Ich muss zugeben, meine erste Begegnung mit dem Herkules, wie er so als Kunstwerk auf seinem hohen Sockel, dem THS-Turm steht, ist für mich ein spannendes und anregendes Erlebnis gewesen.

Aber mit der beschworenen Symbolik eines „Mythos Ruhr“ und den entsprechenden Be-Deutungen zur vorindustriellen Geschichte und der Antike habe ich meine Schwierigkeiten. Was da alles im tonnenideologischen, schönfärbenden Überschwang des Kulturhauptstadtjahres RUHR.2010 an historischen Vergleichen bemüht wurde, um sich die Einmaligkeit der Industriegeschichte des Ruhrgebiets zu Recht zu biegen, ist an Peinlichkeit kaum noch zu überbieten.

Dass ausgerechnet der griechische Halbgott Herkules in Form der eigenwilligen Skulptur von Markus Lüpertz schon lange vor der dann natürlich spektakulären Enthüllung dazu herhalten musste, um als „Symbol für die gemeinsame Kraft der Menschen des Ruhrgebiets“ propagandistisch missbraucht zu werden, ist schon ein Stück aus dem Tollhaus der Marketingelei. Denn was, bitteschön, haben das Ruhrgebiet und seine gemeinsame Kraft der Vielen mit einem antiken „halbgöttlichen“ Einzelkämpfer zu tun?

Ich sehe in dieser verklärenden, falschen, ja verlogenen Symbolik eine hochnäsige, unverschämte Beleidigung der Menschen, die in unserer Region in rund 160 Jahren ihre Haut zu Markte getragen und durch ihre Arbeit das geschaffen haben, was das Ruhrgebiet heute ist: eine postindustrielle Kulturlandschaft. Dieser Zustand ist eben nicht der Stärke einzelner Personen und schon gar nicht der „mystischen Kraft“ antiker Heroen zu verdanken oder gar „geschuldet“, sondern das Ruhrgebiet war und ist immer noch das Produkt einer kollektiven und solidarischen Arbeitsleistung aller Menschen dieser Region. Hier war die Arbeit die Quelle allen Reichtums und aller Kultur. Sie wird es auch weiterhin sein müssen, um die massiven strukturellen Probleme zu lösen, die inzwischen auf dem Revier lasten. Auch wenn diese Fakten heute verharmlosend als „Strukturwandel“ bezeichnet werden, als handle es sich dabei um das beschaulich-romantische „Wandeln“ eines Flaneurs in mediterranen, antiken Gefilden, so erweisen sich die permanenten Veränderungen im Revier tatsächlich als eine nie zu einem Ende kommende „Sisyphusarbeit“.  Dieser dialektische Aspekt von Arbeit und Kultur – von Anfang an der fundamentale und konstitutive Kern für die Entwicklung des heutigen Ruhrgebiets – hat leider bei RUHR.2010 keine Rolle gespielt. Statt dessen hat sich der „postindustrielle Feudalismus“ modisch kreativwirtschaftlich selbst inszeniert und gefeiert. Und um es „auf die Spitze zu treiben“, hat er sich mit der Herkules-Skulptur auf dem THS-Turm im Gelsenkirchener Nordsternpark auch noch ein Denkmal gesetzt. Nicht das Kunstwerk ist das Problem, auch nicht der Künstler, sondern die selbstherrliche Attitüde der tatsächlich und vermeintlich herrschenden Personen, die uns vorgaukeln, öffentlich wohltätig zu sein, wenn sie, die sich zur kleinen Elite zählen, sich auf Kosten der großen Masse Denkmäler errichten und sich dafür selbst auf die Schulter klopfen.

Für mich ist der Nordstern- oder THS-Herkules in vielfältiger Hinsicht eine tragikomische wie anregende Kunstfigur geworden. Sie gibt mir zu denken. Was allerdings ihren antiken Symbolcharakter betrifft, so kann ich von seinen zwölf Heldentaten – man spricht auch von Aufgaben oder Arbeiten –allerdings nur in einer, nämlich dem „Ausmisten der Kuhställe des Augias“, eine gewisse Bedeutung für das Ruhrgebiet erkennen. Der sagenhafte Herkules löste die ihm gestellte Aufgabe zwar technologisch genial und perfekt und – wie es sich für einen Halbgott nun mal gehört – auf höchst spektakuläre Art und Weise. Einmalig, aber leider nicht ein- für allemal. Denn Heldentaten funktionieren nur als legendäre Events.

Uns hingegen, den Nachgeborenen, ist das banale Ausmisten als lästige Daueraufgabe erhalten geblieben, die regelmäßig erledigt werden muss, wenn die Verhältnisse – egal welche und wo auch immer – nicht zum Himmel stinken sollen. Dafür wäre dann aber eher ein Anti-Held wie Sisyphus und nicht Herkules zuständig. Also nicht der Heros für einmalige Events, sondern der beharrliche Arbeiter, der verlässlich und stetig seine Pflicht erfüllt. Wenn aber das Ruhrgebiet unbedingt einen antiken Patenonkel brauchen sollte, empfehle ich, für Spannung zu sorgen und dem Herkules den Sisyphus als Alternative gegenüberzustellen. Dann hätten wir sogar zwei und könnten wählen.

 

Nordsternpark

Herkules mir graut’s vor dir…

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Von Peter Rose

H. Peter Rose, geboren 1935 in Hattingen (Ruhr). Volksschule und Handelsschule. Lehre und Berufstätigkeit als Industriekaufmann. Studium der Soziologie und Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg, Abschluss als Diplom-Sozialwirt. 1964 Kulturreferent beim SPD-Parteivorstand in Bonn. Ab 1971 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Beraterstab beim Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Heinz Kühn. Von 1975 bis 2000 Beigeordneter für Kultur und Bildung, Jugend und Soziales der Stadt Gelsenkirchen. Seit Oktober 2000 nicht mehr abhängig beschäftigt, aber weiterhin zivilgesellschaftlich beratend auf den Feldern Kunst und Kultur sowie politischer und kultureller Bildung aktiv.

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