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Das ist der Stoff, aus dem zahlreiche Geschichten für Teenager gewebt sind: Der Underdog, der seinen Mitschülern bestenfalls im Weg stand, im schlechtesten Fall durch die Hölle ging, kehrt zurück an seine Schule.

Dieses Mal jedoch in einem Triumphzug und diejenigen, die ihn früher nicht beachteten oder verachteten, bewundern ihn nun. Schon der »kleine Nick« von René Goscinny träumt davon, wenn es wieder ganz dick kommt und Lehrer und Eltern ihn nicht verstehen wollen »Eines Tages bin ich reich und berühmt und dann werdet ihr schon sehen«.

Bastian Bielendorfer hat sich diesen Traum, falls er ihn jemals hatte, erfüllt und kehrte am 2. Dezember unter Applaus in die voll besetzte Aula des Grillo-Gymnasiums zurück. Einige seiner alten Lehrer waren ebenfalls anwesend und, wie er sagte, sogar einige seiner damaligen Mitschüler. Sein damaliger Schulleiter, der heute noch immer das Grillo-Gymnasium leitet, führte in den Abend ein und brachte seinen Stolz zum Ausdruck, einen ehemaligen Grillonen als Schriftsteller begrüßen zu dürfen. Wenn man annimmt, dass die Geschichten in »Lehrerkind« auf wahren Begebenheiten und Personen basieren, dann war die Präsenz der beiden Gruppen mutig. Zwar sind die Geschichten stark übertrieben angelegt und auf eine hohe Frequenz von Lachern getrimmt, doch immer wieder blitzt durch den ironisierenden Blick auf die eigene Schulzeit ein Umfeld auf, welches alles andere als angenehm war. Heute würde man sagen, das Kind wurde gemobbt. Der junge Bastian ging durch die Hölle. Die Schulzeit an der weiterführenden Schule ist lang. Dazu hören die Zuschauer an diesem Abend kein ernsthaftes Wort.

»Natürlich sprach sich ziemlich schnell rum, dass mein Vater einen IM in der Schule untergebracht hatte, und Schüler aller Altersklassen begannen ihren Frust an mir auszulassen. Manchmal weil mein Vater ihnen eine schlechte Note gegeben hatte, manchmal weil mein Vater sie ins Klassenbuch eingetragen hatte, manchmal auch nur stellvertretend, als würde ein Treffer in mein Gesicht bei ihm Schmerzen auslösen.« Zitat aus: Lehrerkind – Lebenslänglich Pausenhof, von Bastian Bielendorfer, Piper, 2011

Die Schulbiographie von Bastian Bielendorfer soll, trotz des ernsthaften Themas, in erster Linie leichte Unterhaltung sein und seine Lesung ist dementsprechend Entertainment. Um Lacher zu erzielen, greift Bielendorfer aber auch schon mal zu drastischem Vokabular. Das gefiel den jüngeren Zuhörern an diesem Abend, dem ergrauten Bildungsbürgertum, welches den literarischen Shootingstar (amazon Bestseller-Rang 307; Platz 9 der Spiegel-Bestsellerliste in Woche 49/2011 in der Kategorie »Sachbuch«) besichtigen wollte, jedoch nur bedingt. Aber auch diese Zielgruppe fing Bastian Bielendorfer geschickt wieder ein. Dass Bielendorfer nicht das erste Mal auf der Bühne stand, war ihm anzumerken. Geschickt interagierte mit dem Publikum, ja verteilte zum Einstieg in den Abend »Russisch Brot« und lud alle ein, zunächst einmal etwas zu knabbern. Ausreichend Bühnenerfahrung sammelte er in den vergangenen Jahren bei Poetry Slams. Auf einer solchen Bühne erfährt man die Reaktion des Publikums unmittelbar und hat schnell ein Gespür dafür, welche Pointen unmittelbar zünden und welche nicht. Vielleicht kommt daher eine gewisse Vorliebe für übertriebene, aber griffige, sprachliche Bilder, etwa wenn er erzählt, er habe ausgesehen, wie »eine Bockwurst mit Tornister«. Schon während dieser Zeit bei den Poetry-Slams beschäftigte sich Bielendorfer mit seiner Heimatstadt und schuf zunächst räumlichen und geistigen Abstand zu Gelsenkirchen und schaute etwas verächtlich herab auf die Stadt und ihre Bewohner. Einer seiner Texte aus dieser Zeit (2009) geht mit Gelsenkirchen hart ins Gericht und ist auch nicht besonders vorsichtig formuliert. »Liebeserklärung an Gelsenkirchen« heißt der. Der Bahnhof der Stadt Gelsenkirchen, die demnächst in »Gelsenmoschee« umbenannt wird, werde »Tauben-KZ« genannt heißt es da und »in Gelsenkirchen hält man Holocaust für ein Feinwaschmittel«. Von dieser Distanzierung lässt sich Bielendorfer an diesem Abend nichts anmerken, sagt lediglich, dass er niemals gedacht hätte, dass er eines Tages an seine alte Schule zurückkehren würde. Die Kränkungen und Verletzungen, die er hier erlebte, verkleiden sich als Texte eines Comedians und das Publikum lacht befreit auf, wenn Lehrer, die auch heute an der Schule unterrichten, wiedererkannt werden. Eine zweite Ebene der Reflexion mag niemand so recht betreten. Zu lustig war der Abend und sein Stargast und zu unangenehm wäre eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem Thema.

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Von Chajm Guski

Chajm ist begeisterter Bewohner des Ruhrgebiets (könnte sich grundsätzlich aber auch vorstellen, woanders zu leben), Herausgeber von talmud.de, Organisator des Minchah-Schiurs im Ruhrgebiet, Blogger, Autor von Artikeln und Glossen in der„Jüdischen Allgemeinen”. Zudem ist er ein Early Adaptor der vielen technischen Spielereien, die das Internet jeden Tag hervorbringt. Einige werden auch hier dokumentiert.

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