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Ist man selber in einer Kolonie der Montanindustrie oder dicht anbei aufgewachsen, wünscht man für seine Kinder eine ähnliche Jugend. Egal, wo einen das Leben hintreibt, und den, der sich selbst nicht egal ist, treibt es mit Macht, dieses Bild bleibt.

Kolonie, das heißt, jeder Arbeiter hat ein Einfamilienhaus mit Garten, meist auf Lebenszeit. Sie hatten eine unverwechselbare Atmosphäre, diese Siedlungen. Diese oft beschriebenen Tugenden des gegenseitigen Vertrauens, der gegenseitigen Hilfe und ein Gefühl der Geborgenheit, das nur entstehen kann, wenn man weiß, dass das eigene Leben bei einem Unfall oder einer Bergkatastrophe vom Einsatz des Kollegen oder Kumpels abhängen kann.

Man nimmt es mit.

Und dann heiratet man, und dann wird der Wunsch zum konkreten Plan. Denn Mary Lou ist schwanger. Eigentlich zu früh, man wollte erst den Audi ausleasen und dann mit den Banken sprechen. Ich fuhr zwar keinen Audi sondern einen alten Käfer, dessen eigenartiger Nelkengeruch von seinem Vorbesitzer stammte, der war nämlich Zahnarzt.

Aber ich musste mit den Banken sprechen. Und – ohne es gemerkt zu haben – steckte man mitten drin in der großen Abzocke. Der Makler und die Bank, das ist wie Lucky Luciano und Meyr Lansky. Vor zwei Jahren hatten wir, meine Frau und ich, unser Haus bezahlt. Nach so langer Zeit und einem Trick, für den ich meine Frau hochloben muss. Es wäre ermüdend, hier die einzelnen Schritte lesen zu sollen, nur so viel: Mit einem ungeheuren Kraftakt kauften wir uns aus dem großen Ganovensystem frei.

Denn die freundliche Bank will ja nicht, dass man seine Schulden bezahlt, sondern man soll Zinsen blechen bis zum Weißbluten. Und die Erben, so man welche hat, sollen fortfahren mit dem Geldquell. Hat man keine, gehört das Haus sowieso der Bank.

Hier sei mal eine Binsenweisheit eingeflochten: Ach wenn der „Kundenberater unserer Bank, der Herr Dr. von Soundso“ ihnen etwas Schweitzer Gärtner düngt mit Gülle - Zeichnung: Karel Krejčík (1857-1901)anderes erzählt, und das tut er garantiert: Sie brauchen mindestens die Hälfte des Kaufpreises an Barem, wenn sie ein Haus besitzen wollen. Ohne Eigenkapital funktioniert das nie und nimmer. Lassen sie sich nicht über den Leisten ziehen. Bauen ist teuer. „Mit Eigenleistung“ ist keine Möglichkeit, es ist die größte Versklavung, die sich der Mensch selbst antun kann. „In Schwarz“ geht nicht einmal mehr auf dem Lande. Zwar hört man immer Geschichten von einem, dem die Schützenvereinskameraden praktisch das Haus gebaut haben, aber glauben Sie so einen Schmonzes nicht.

Seien wir optimistisch, tun wir so, als hätte es geklappt und sie wohnen irgendwo in einer Einfamilienhaussiedlung. Wo ist schnurz. Wir Deutschen von Nord bis Süd sind uns viel ähnlicher, als es unsere Dialekte und Regiolekte erahnen lassen. zumindest in unserem Verhalten als Nachbarn.

Ich muss schon an dieser Stelle deutlich sagen, dass es in einer funktionierenden Siedlung pro negativer Schilderung mindestens zwei positive Schilderungen gleichen Sachverhaltes gäbe.

Aber die haben keinen Tratschgehalt.

Dass ist das Erste, was einem nach der Räumung des Bauschutts von hunderten von Häusern auffällt. Kaum, dass die Asphalt-Grobschicht auf den Wegen und Straßen in der Siedlung mit Feinschicht versehen ist und die Bürgersteige und Bodenwellen (die verdammten Drempel) mit roten Betonsteinen geplastert sind, offenbart sich die Siedlung als Nachrichtenpool.

Kaum dass Ihnen, der sie vielleicht im nördlichen Zipfel des Kraals wohnen, Ihre Frau sagt: „Sollten wir in diesem Jahr doch noch nach Zandvoort fahren für eine ein Woche, fahre ich aber vorher mal nach Düsseldorf oder Münster zum Einkleiden. Ich kann diese Aldi-Anoraks nicht mehr sehen.“, heißt es eine Stunde später am Südende, dass sie kurz vor der Scheidung stünden, weil sie ihre Frau aus Genusssucht verwahrlosen ließen.

Aber das geht ja noch, man kann es aufklären, sein Ehgespons sich nach allen Regeln der Haute Volée einkleiden lassen und sich für den Leumund ruinieren, alles kein Problem.

Probleme sind die Terroristen.

Ich weiß, im Zeitalter der durchgeknallten Salifisten und Islamisten sollte man mit diesem Begriff vorsichtig umgehen, aber er passt. Der Reinhard Mey, Gitarrist und Nickelbrillenträger hat einmal in seiner Siedlung auf Sylt gewisse Nachbarn als „Rasen-Nazis“ bezeichnet. Weil sie jeden Sonntag Morgen unter Einsatz von lautstarken Motorrasenmähern den spärlich sich auf dem Sylter Sand haltenden Rasen „mähten“. Er bekam für diesen Begriff furchtbaren Ärger.

Deshalb nenne ich sie die „Rasen-Terroristen“. Nun gut, sie sind nicht so reich, dass sie auf Sylt siedeln, oder, sie geben sich nicht so reich, dass sie sich verpflichtet fühlten, auf Sylt zu siedeln, (Reichtum ist immer relativ) aber der Nerv! ist der gleiche. Wobei die Tennis-Fans die originellsten sind, denn sie mähen am Samstag mit Beginn der Bundesligaspiele.

„Ach, ist Fußball im Fernsehen? Das wusste ich gar nicht. Mein Mann und ich spielen ja leidenschaftlich Tennis, nicht wahr, Marc?“ Einmal hat’s dem Nachbarn Günter B. gereicht. Er hatte an dem Samstag Geburtstag und schon einige Konjacken in seinen Kaffee geschüttet.

Vielleicht in freudiger Erwartung des Rasenkrieges.

Er ging hinüber zu Marc und sagte etwa folgendes: „Pamma auf, du Held! Wenne gezz dein Mähdrescher anwirfs, dann bintich dich auf dein Gerät und hinter meine Haali und fahr mit dir raus bis zur Lippe. Untann schmeiß ich euch beide in datt Wasser! Noch Fragen?“ Und nach einer Kunstpause fügte er noch an: „Wieso heißt du einklich immer noch Marc und nich Euro?“ Und wegen dieser Bemerkung erkannte der Amtsrichter Dr. Humpel auf „Offensichtlich im Scherz gemeinte Verbaldrohung“ und lehnte die Anklage ab. Gottlob hatte er Günter Bs. Gesichtsausdruck bei der Rede nicht gesehen.

„Das Parken von gewerblichen Fahrzeugen nur zum Zwecke des Abstellens ist in reinen Wohngebieten nicht erlaubt.“ Diesen Satz haben wir alle mal in der Fahrschule gelernt. Er wurde in solchen Fällen auch in der hiesigen „Kurante“ (= Tageszeitung) vom Ordnungsamt gebetsmühlenartig wiederholt. Dann steht am Montagmorgen ein Möbelwagen des Möbelhauses Vornholt vor meiner Garagenausfahrt. Er stand dort schon seit Freitagabend. Aber ich ging doch davon aus, dass der Fahrer am Montag wieder arbeiten müsste.

In unserem kurzen Straßenstück mit Drempeln und Grünem Quadratmeter standen schon: ein Zusammengefalteter Baukran, ein Teerofen (mitten in der Woche, zur Freude der Kinder und zum Verdruss der Mütter), ein Holztransporter mit Selbstlader und wenn die Wehrpflicht nicht abgeschafft worden wäre, wahrscheinlich ein Leopard II KWS, denn am Ende der Straße wohnt ein Soldat, den es nach Aghanistan verschlagen hat.

Jetzt ist großes Geschimpfe unter den „Parkplatz-Terroristen“, ausgebrochen, weil das Ordnungsamt nach monatelangem Drohen saftigste Strafen verhängt hat.

Den Oscar für Sturheit verdienen aber die um die Siedlung herumliegenden Bauernhöfe. Also die, die sich mit Verkauf und Verpachtung von Bauland keine goldene Nase verdient haben. Entgegen aller Vorschriften von Bund, Land, Gemeinde wird der Flüssigdünger, ob der Boden ihn braucht oder nicht, ob Lerchen und Wiedehopfe brüten oder nicht, vom Frühlingsboten Kiebitz ganz zu schweigen, in hohem Bogen dem Land appliziert. Ein einziger von fast 10 Landwirten hat das vorgeschriebene Schlauchbesteck zum Ausbringen von diesem Dünger. Er wird übrigens im Volksmund „Gülle“ genannt und stinkt bestialisch. Und statt dass man sich mit der Ausbringung diese wahren Kampfstoffes abspricht, nimmt sich jeder Held der Volksversorgung dafür Zeit, wann ER will. Denn der Hof Schulze Vorhaut ist seit über 500 Jahren reichsfrei. Phhh!

Das sind also die Stinketerroristen.

Kinder mit Kopfschmerzen, die bei den Ausbringungsorgien auftreten. Stinkendes Brunnenwasser für Gartenwasser in 20 Meter Tiefe zeigt an, wie das Trinkwasser in 80 Meter Tiefe belastet wird. Beratungs und Schulungsstunden der Landwirtschaftkammer bewirken nichts. Wenn die Güllelagunen voll sind, „denn mutt datt all wech!“

„Wie war’s in Scholven doch vordem

in der Siedlung angenehm…“

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Von Friedhelm Möllmann

Friedhelm wurde im Februar 1950 in Gladbeck Zweckel geboren, zog im Alter von einem Monat nach Scholven um und wurde damit zum überzeugten Bueraner. Er ist bekennender Christ und wohl auch bekennender, weil kritischer Katholik. Schriftsetzer mit allen Gutenbergschen Würden. Gelernt hat er bei der damals besten “Bude” der Welt, K+B auf der Hagenstraße in Buer. Er ist ohne Probleme durch die Zwiespältigkeit der Jugend, hie DPSG, dort Rock’n'roll, gekommen. Er hat kein Abitur. Seit 1980 ist er verheiratet, mit mittlerweile zwei erwachsenen Nachfahren, nach 3 Herzinfarkten und einem Stammhirnapoplex ist er seit 2011 berentet und nicht mehr ganz fit – aber nur körperlich!! Er gehört keiner Partei an, wobei er den Unionsparteien, der FDP, den Piraten, den Grünen und den Linken ganz besonders nicht angehört. Nach IG Druck und Papier, nachmals IG Medien, jetzt bei IG ver.Di nur noch zum Rentnerbeitrag Mitglied. Friedhelm Möllmann verstarb im Oktober 2015.

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