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Consol SpiegelungenEs mag jemand über einen Film oder eine Karikatur empört sein – er mag diese Werke als Beleidigung seines Glaubens empfinden. Das ist (s)ein gutes Recht. Ebenso, wie es (s)ein gutes Recht ist, diese Empörung auf die Straße (in die Öffentlichkeit) zu tragen.

Dieses Recht auf Meinungsfreiheit und Versammlung ist ein hohes Gut – das aber (mit nur wenigen Einschränkungen: Stichwort etwa Leugnung des Holocaust/der Shoah) grundsätzlich gilt und gelten muss.

Eine Einschränkung dieser Freiheiten – etwa weil sich eine Gruppe in ihren religiösen Empfindungen beleidigt fühlt – kann nicht hingenommen werden. Hier sollte jeglicher Versuch – aus welchen Gründen auch immer (Opportunität, falsch verstandene Toleranz, taktisches Kalkül) – zurückgewiesen werden, neben den geltenden Gesetzen Sonderrechte zu schaffen (meint: Freiheitsrechte einzuschränken bzw. Gesetzesübertretungen wie Gewalttaten zu „tolerieren“).

Freiheit muss immer wieder neu erarbeitet, aber muss auch ausgehalten werden – das gilt für Christen, Juden und Muslime. In diesem Zusammenhang könnte es interessant sein, einen Blick auf ein altes Theaterstück, nämlich Lessings „Nathan der Weise“, zu werfen, es sozusagen von der tagespolitischen Debatte her einmal neu zu beleuchten.

Schon die Entstehungsgeschichte des Dramas weist nahezu eine tagesaktuelle Komponente auf. Lessing hatte eine Reihe von religionskritischen Schriften als Herausgeber veröffentlich ( „Reimarus-Texte“), in denen es um die christliche Religion ging. Ein Gedanke dieser Texte war – grob zusammengefasst- die Kritik an der „Offenbarungsauffassung“ des christlichen Glaubens. Aufgrund der Widersprüchlichkeit der Evangelien wurde darin die Position entwickelt, diese könnten nicht als Grundlage oder gar „Beweis“ für die Offenbarung genommen werden.

Um diese Texte entspann sich eine öffentliche Debatte, in der sich der Hamburger Hauptpastor Goeze als Kontrahent Lessings in besonderer Weise hervortat. Der Streit endete mit einem Publikationsverbot für Lessing, dessen Dienstherr, der Herzog von Braunschweig, seinem „Angestellten“ Lessing untersagte, weitere derartige Texte zu veröffentlichen.

Kurz und gut: die Zensur griff ein.

Lessing, pfiffig wie er war, reagierte auf seine Weise. Er entschloss sich nämlich, die Auseinandersetzung auf „seiner alten Bühne“, also dem Theater, fortzuführen. Und so entwickelte Lessing sein „dramatisches Gedicht“, das in Jerusalem zur Zeit des Sultans Saladin spielt (nach der Eroberung Jerusalems durch Saladins Truppen) und in dessen Mittelpunkt der Jude Nathan steht, der uns die berühmte „Ringparabel“ erzählt (mit Anleihen bei Boccaccio). Die drei Ringe, um die es darin geht, symbolisieren die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum, Islam, die sich auf einen Kanon an Schriften berufen, die Offenbarungscharakter haben, und die von den Haupthandlungsträgern repräsentiert werden, die sich – was die Muslime und die Christen angeht – am Ende als miteinander verwandt herausstellen.

Lessing lässt also Vertreter dieser drei Religionen aufeinandertreffen, wobei er einer positiv besetzten Figur, die die Religion repräsentiert, zugleich auch immer eine negative an die Seite stellt.

Dem weisen Nathan stellt er seine „eifernde“ (Adoptiv-)Tochter Recha an die Seite, dem eher abgeklärten Saladin mit seiner Schwester Sittah eine „Scharfmacherin“ und dem Patriarchen von Jerusalem, der absoluten Negativ-Figur (in ihr spiegelt sich der Hauptpastor Goeze) – er fordert die Verbrennung des Juden Nathan – den aufrichtigen Klosterbruder und den (zugegeben zunächst) etwas tumben Tempelritter (der Recha aus dem Feuer rettet, aber nicht Retter einer Jüdin sein will, die aber-das stellt sich später heraus- seine Schwester ist).

Schon allein durch die Figurenkonstellation arbeitet sich Lessing an Vorurteilen ab: es gibt in allen Kulturen, in allen Religionen, in allen Völkern Gute und Schlechte.

Keine Religion, keine Kultur, kein Volk ist per se besser als eine andere (ein anderes).

Am Ende des Dramas – die Intrigen der Bösen sind gescheitert, die Guten haben zueinander gefunden, denn man hat sich als Verwandte oder als neue Freunde gefunden – kommt Lessings Versöhnungs- und Toleranzideal nicht in Sätzen, sondern gestisch zum Ausdruck, in einer so wunderbaren Regieanweisung, wie ich kaum eine zweite kenne: „Unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen fällt der Vorhang.“

Nur allzu schnell geht bei diesem Schluss und auch schon beim Hören der Ringparabel (die Nathan übrigens mit den Sätzen markiert: „Nicht Kinder nur speist man mit Märchen ab“, worin ja schon aufscheint, dass die Parabel nicht eins zu eins als wahr angenommen werden sollte, dass sie also ein Märchen im Sinne einer Utopie ist) verloren, dass Nathan selbst (und durch ihn Lessing) seiner Parabel – auf Aufforderung Saladins hin – eine „Interpretation“ hinzufügt: Nathan erzählt die Parabel ja deshalb, weil er von Saladin dazu genötigt worden ist, sich dazu zu äußern, welche der drei Religionen die „beste“ sei.

Nathans Position (und wir können ihn hier durchaus als Rollensprecher für die Anschauungen Lessings nehmen) besteht –stark gerafft – in folgenden Überlegungen:

– -alle drei Religionen stehen sich nahe (der eine Vater – der ursprüngliche Ring) – alle drei Religionen stützen sich auf ihre Schriften, die von den Anhängern des jeweiligen Glaubens als „wahr“ angenommen werden – dass man die Schriften (die Religion), in deren Kulturkreis man aufwächst, als wahr (als „wahrer“ als die anderen) annimmt, ist zunächst selbstverständlich; daraus kann aber (im Umkehrschluss) abgeleitet werden, dass keine Religion „wahrer“ (bitte entschuldigt diesen Grammatikverstoß) ist als eine andere – die „wahre“ Religion zeigt sich nicht auf der Ebene der Texte und eines exegetischen Streits darüber, sondern im praktischen Tun, im humanen Handeln gegenüber den Mitmenschen.

Die Religion ist die „beste“ (wahre), die im praktischen Handeln ihrer Anhänger das Glück der Menschen am meisten fördert. Besonders im letzten Punkt kommt Lessings deistisch gefärbte Gottesauffassung zum Tragen, deren Kern darin besteht, dass Gott zwar die Welt geschaffen hat, dass er aber keiner Offenbarung bedarf und Gott nach der Schaffung der Welt auch nicht mehr eingreift, sondern wir Menschen selbst für unser Handeln (unser Tun und Lassen) verantwortlich sind.

Lessings (damalige) Kritik zielte natürlich in erster Linie gegen das Christentum bzw. seinen unmittelbaren Widersacher Goeze („den Streit auf dem Theater fortführen“). Aber nicht ohne Grund lässt er sein Drama in Jerusalem zur Zeit der Kreuzzüge spielen.

Er zeigt uns mit dem Juden Nathan einen Vertreter von Humanität und Toleranz und mit Saladin (durchaus an das historische Vorbild angelehnt) einen zum Frieden und zur Versöhnung und Toleranz gestimmten Moslem. Lediglich der Patriarch von Jerusalem, der offizielle Hauptvertreter des Christentums, der „Amtsträger“ Gottes, ist unversöhnlich, hartherzig und ein gnadenloser Dogmatiker. Er repräsentiert sozusagen die gewalttätige Seite des Christentums (Inquisition, Kreuzzüge, Glaubenskriege, Hexenverbrennung) bis zur „Streitkultur“, der Lessings selbst ausgesetzt war.

Wie kann Lessings Versöhnungsbotschaft aber heute gelesen werden?

  1. Zunächst bliebe die Anerkennung des Umstandes bestehen, dass jede Glaubensgemeinschaft ihren jeweiligen Glauben als den „wahren“ annimmt, ihren überlieferten und kanonisierten Texten nicht nur „Glauben schenkt“, sondern eben mehr Glauben schenkt als den anderen Offenbarungs-Texten.
  2. Dies bedeutete zugleich, dass man alle Glaubensströmungen als ebenbürtig akzeptiert (und dies gilt dann für die Anhänger aller Glaubensrichtungen jeweils wechselseitig).
  3.  Dies hieße aber auch, innere Widersprüche einer Glaubensrichtung, die sich in einer Strömung ausdrücken – katholische und protestantische Christen, orthodoxe und eher liberale Anhänger des jüdischen Glaubens, Sunniten und Schiiten im Bereich des Islam sowie jeweils weitere Untergruppierungen in diesen Religionen – als Angelegenheit der jeweiligen Religion zu betrachten (damit könnte sich der Außenstehende Diskussionen über die „richtige“ Auslegung der Bibel oder des Koran ersparen , wie sie schon mehrfach in talk-shows zu erleben waren, wo man dann etwa anhand von Zitaten aus dem Koran der Frage nachgeht, ob der Islam per se gewalttätig ist oder nicht)
  4. Und es bliebe der Grundgedanke bestehen, dass man eine Religion nicht an ihren „Offenbarungstexten“ und deren Interpretation misst, sondern am jeweiligen Beitrag für das Glück der Menschen, also an der Praxis, die aus dem Glauben erwächst.
  5. Dies würde zugleich bedeuten, dass man alle Handlungen oder Handlungsanweisungen, die den reinen Bezirk des Glaubens verlassen, sich dabei aber auf Glaubenstexte berufen, zurückweist. Diese sind vielleicht für den Glauben relevant, nicht aber für die Bezirke außerhalb des Glaubens.

Dies gilt dann für Auslassungen des Papstes (etwa zur Empfängnisverhütung, zum Gebrauch von Kondomen etc.) ebenso wie für die Aufrufe irgendeines Imam zu (gewalttätigen) Demonstrationen gegen Andersgläubige, die aus dem Koran abgeleitet werden.

Hieße konkret: jegliche Gewalttat, die aus dem Glauben heraus legitimiert wird (etwa, weil der Gläubige meint, beleidigt worden zu sein), als das zu sehen, was sie ist: als Gewalttat – nicht aber als Ausdruck eines verletzten religiösen Gefühls.

Hieße auch, sich offensiv damit auseinanderzusetzen, wenn auf der Grundlage von Offenbarungstexten oder unter Bezug darauf der Anspruch erhoben wird, in die Steuerung der Gesellschaft einzugreifen (Rufe nach Einschränkung der Meinungs- und PressefreGraffitoiheit).

Dem Preußenkönig Friedrich II. wird der Satz zugesprochen, in seinem Staate könne jeder nach seiner Facon selig werden. Eine Aussage, die das Recht auf Glaubensfreiheit beinhaltet. Die aber zugleich bedeutet, dass der Staat zwar jeden in seinem Glauben toleriert, aber Staat (das Ganze) und der Glauben (jedes Einzelnen) zwei verschiedene Paar Stiefel sind.

Hinter den „Alten Fritz“ und erst recht nicht hinter Lessing sollten die Politiker und Journalisten, die eines „beleidigten Glaubens“ wegen nun Grundrechte einschränken wollen, nicht zurückfallen. Vielmehr wäre heute zu erwarten, dass nicht nur Politiker und Journalisten, sondern besonders Künstler (Musiker, Schriftsteller, Maler, Theaterleute) auf den Spuren Lessings und in seiner Tradition mit den heutigen Mitteln und ihren Formen von Kunst Freiheitsrechte verteidigen und sich gegen jene wenden, die – egal unter welcher Glaubensfahne – diese einschränken wollen.{jcomments on}

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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