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Petteri Sulonen: The VR warehouses on fire on May 5th 2006. Helsinki, Finland. The National Museum of Finland in the distance.  Diese Datei ist unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung 2.0 US-amerikanisch (nicht portiert) lizenziert.Er gehört zu den klugen Köpfen, die hinter der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ stecken. Allerdings nicht als Leser, sondern als Schreiber – Andreas Rossmann. Seit 1986 sitzt er als Kulturkorrespondent der FAZ in Köln, um die nationalen und internationalen Leser über Kulturereignisse in den Städten des Landes Nordrhein-Westfalen zu informieren.

Das Themenspektrum seiner Berichterstattung reicht von der vielfältige Theaterszene über Architektur, Städtebau und Denkmalschutz, bis zur Kunst- und Kulturpolitik des Landes und der Kommunen.

Damit ist er seit mehr als 25 Jahren für das Land NRW und vor allem auch für das Ruhrgebiet durch seine Berichterstattung in der FAZ zu einer kritischen kulturpolitischen Stimme mit bundesweiter Resonanz geworden, allerdings nicht immer zur Freude sich betroffen oder getroffen fühlender Kommunal- und Landespolitiker.

Andreas Rossmann hat nun in einem Buch 46 Beiträge zusammengestellt, die er zwischen 1986 und 2011 über die „Kulturlandschaft Ruhrgebiet“ für die FAZ geschrieben hat. Diesen Texten sind ebenso viele schwarz-weiß-Fotos hinzugefügt, die von der exzellenten Redaktionsfotografin der FAZ Barbara Klemm in den 1970er, 80er und 90er Jahren aufgenommen worden sind.

Sie verstehen sich nicht als Illustration der Texte sondern stellen vielmehr einen eigenständigen Beitrag dar; denn sie sind ein visueller Anreiz, um Vergangenes in Erinnerung zu rufen und damit dem Leser beim Betrachten den Vergleich mit der Gegenwart zu ermöglichen. Die Texte und Fotos von Orten, Gebäuden und Szenen aus dem Ruhrgebiet veranschaulichen, dass und wie sich diese einst von den gigantischen Anlagen für den Kohleabbau und die Eisen- und Stahlproduktion geprägte Region in einen postindustriellen Raum mit zunächst riesigen Industriebrachen und verödenden Stadtteilen verändert hat.

Deutlich wird aber auch, inwieweit es der IBA-Emscherpark in den letzten 10 Jahren des 20. Jahrhunderts gelungen ist, erste sichtbare Konturen eines neuen Profils zu schaffen und damit die alten Bilder in unseren Köpfen zu verdrängen. Denn was mit dem Begriff „Strukturwandel“, so locker daherkommt und uns so flott über die Lippen geht, als handle es sich dabei um einen Spaziergang durch den Park von Schloss Berge, ist tatsächlich eine tiefgreifende und komplexe „evolutionäre“ Umformung von Natur und Kultur im Ballungsraum zwischen Ruhr und Lippe und der Emscher mittendrin.

Obwohl inzwischen seit über 50 Jahre im Gange, ist das Ende der zum Teil dramatischen Veränderungsprozesse so offen wie die Zukunft ungewiss. Um den Strukturwandel zu verstehen und nachvollziehbar zu machen, sind Vergleiche, wie sie das Buch anstellt und beim Leser anregt, unverzichtbar. Immer wieder nimmt Andreas Rossmann in seinen Berichten aus dem Ruhrgebiet Spuren auf, die schon in den 1920er Jahren zwei Kollegen in der renommierten „Frankfurter Zeitung“, der Vorgängerin der FAZ, registriert haben, nämlich Heinrich Hauser in seiner mit eigenen Fotos illustrierten Reportage „Schwarzes Revier“ und Joseph Roth, der einen seiner Reiseberichte aus dem Ruhrgebiet mit „Rauch verbindet die Städte“ überschrieb.

Roths damalige Feststellung hat nun Andreas Rossmann für den Titel seines Buches aufgegriffen und auf den Kopf gestellt, indem er sie um die zwei Wörter „nicht mehr“ ergänzt und mit dieser Negation den Nagel auf den Kopf trifft: Es qualmt zwar nicht mehr, aber was dann? Um diese Frage kreisen die Texte von Andreas Rossmann.

Neugierig auf das Ruhrgebiet geworden, hat er sich eingelesen, ist immer wieder mit dem Auto durch das Revier unterwegs, hat sich vertraut gemacht mit den Menschen, wo und wie sie wohnen, leben und arbeiten. Man muss vorsichtig sein, von den Vorlieben oder gar Lieben anderer Menschen zu sprechen, aber Andreas Rossmann hat bei all seiner kritischen Distanz als Journalist seit einem Vierteljahrhundert mit viel persönlicher Empathie über das Ruhrgebiet recherchiert und reflektiert, um die Transformation vom alten Revier in eine neue Städte- und Freizeitlandschaft, also den polyzentrischen Ballungsraum Ruhrgebiet authentisch und kritisch, anschaulich und verständlich zu beschreiben und damit nachvollziehbar zu machen.

Wie wichtig ihm dabei die Industrialisierungsgeschichte und historische Fotos sind, verdeutlicht ein Zitat aus seinem Vorwort für den im Jahr 2000 erschienenen Bildband „…als der Pott noch kochte“ mit Photographien von Horst Lang, die seit den 1960er Jahren entstanden sind: „Als Teil des kollektiven Gedächtnisses…geben die Fotos Anschauung und Auskunft darüber, was das Ruhrgebiet in dem rasanten Prozess des Strukturwandels schon verloren hat – oder bald zu verlieren droht.

Das Bewusstsein für die Geschichte, die sie festhalten, bildet auch ein Stück Widerstand gegen Entwicklungen, die es um seine Eigenheit und Unverwechselbarkeit bringen könnten.

Und Rossmann beschreibt er eindrucksvoll, was er auf einem Foto von Horst Lang wahrnimmt: „Ortstermin an der Bahnbrücke, Ecke Essener und Osterfelder Straße, in Oberhausen… Dieses Photo erzählt gerade nicht nur von der verschwundenen Vergangenheit, sondern zugleich von einer möglichen Zukunft des Ruhrgebiets. Die Hinweise dafür sind denkbar konkret, die Vision ist dem Bild buchstäblich eingeschrieben: Der Ort ist Oberhausen, die Straßenbahn nennt Essen-Rellinghausen als Ziel, der VW-Käfer ist in Duisburg zugelassen, und das [Stifts-] Bier wurde in Dortmund gebraut. So teilt diese Aufnahme auch etwas davon mit, was das Ruhrgebiet (noch) nicht ist, aber werden könnte: eine Stadt. Es wird einmal.“

Wer Rossmanns Buch liest, begibt sich auf eine spannende Lesereise durch Zeit und Raum der letzten 25 Jahre des Reviers. An jeder Station wird man mit einer besonderen, überraschenden Realität konfrontiert, in der die Geschichte, das Gewesene, ebenso wirksam ist wie auch die Zukunft, das Ungewisse, ins Spiel kommt und die Phantasie des Lesers beflügelt wird, eigene Erinnerungen, Bilder und Perspektiven beizusteuern. Wer sich für den Strukturwandel im Ruhrgebiet interessiert und sich nicht mit den banalen, Neidkomplexe bedienenden Rankings begnügen will, sollte zu diesem Buch greifen.

Der Erkenntnisgewinn zum Strukturwandel ist beträchtlich, aber ebenso der praktische Nutzen als Reiseführer, den Karl Ganser, der ehemalige Geschäftsführer der IBA-Emscherpark in seinem Vorwort hervorhebt: „Andreas Rossmann ist nicht nur ein sprachschöner Berichterstatter, Historiker und Architekturkritiker, sondern auch ein wunderbarer Reiseleiter für alle, die bereit sind, Reisende zu sein und nicht nur Touristen.“

(Das Buch von Andreas Rossmann mit Fotos von Barbara Klemm ist als Paperback unter dem Titel „Der Rauch verbindet die Städte nicht mehr“ im Verlag Walther König, Köln, als Paperback erschienen und kostet € 14,80.)

Buerpott im Video-Interview mit Andreas Rossmann ab Minute 5

WDR 3 Mosaik Gespräch mit Andreas Rossmann vom 22.11.12

 

 

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Von Peter Rose

H. Peter Rose, geboren 1935 in Hattingen (Ruhr). Volksschule und Handelsschule. Lehre und Berufstätigkeit als Industriekaufmann. Studium der Soziologie und Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg, Abschluss als Diplom-Sozialwirt. 1964 Kulturreferent beim SPD-Parteivorstand in Bonn. Ab 1971 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Beraterstab beim Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Heinz Kühn. Von 1975 bis 2000 Beigeordneter für Kultur und Bildung, Jugend und Soziales der Stadt Gelsenkirchen. Seit Oktober 2000 nicht mehr abhängig beschäftigt, aber weiterhin zivilgesellschaftlich beratend auf den Feldern Kunst und Kultur sowie politischer und kultureller Bildung aktiv.

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