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Nach dem Intendanten des Musiktheaters hat nun auch das Land Nordrhein-Westfalen einen runden Tisch angeregt, bei dem ein Kompromiss für die Neue Philharmonie Westfalen gefunden werden soll.

Noch im August sollen Träger und Orchestervertreter zu einer Runde in Düsseldorf zusammen kommen, um über die Existenz des Orchesters zu beraten, an dessen Finanzierung das Land mit rund 2,6 Millionen Euro im Jahr beteiligt ist (der Landschaftsverband Westfalen-Lippe schießt knapp 350 000 Euro zu).

Vom Trägerkreis selbst (Gelsenkirchen, Recklinghausen, Kreis Unna) kommen derweil immer wieder Beteuerungen, dass man das Orchester gerne halten wolle, aber die durch die Tarifvereinbarungen entstandenen Mehrkosten von 1,4 Millionen Euro nicht tragen könne.

Ein Orchester in Geiselhaft

Nimmt man die Verlautbarungen ernst, so wird ein angestrebter Kompromiss aus Sicht der Träger nicht anderes bedeuten können, als Gehaltseinbußen der Orchestermitglieder. Das Bedrohungspotenzial, das in diesem Zusammenhang aufgebaut wird, ist die (geplante oder auch nur durchgerechnete) Verkleinerung des Orchesters – also der Verlust von Arbeitsplätzen in einem Arbeitsmarktsegment, das mit Sicherheit nicht durch einen Nachfrageüberhang gekennzeichnet ist.

PhildisharmonieDass jetzt die Sommerferien (und damit auch die Theater- und Orchesterferien) in NRW beginnen, spielt dem Trägerkreis in die Hände – schickt man doch die Orchestermitglieder in die Ferien mit der ungewissen Aussicht auf den Bestand des Orchesters, was vielleicht den (gewünschten?) Effekt haben kann, das eine oder andere Orchestermitglied hinsichtlich eines Lohnverzichts weich zu klopfen. So richtig der Vorschlag des MiR-Intendanten und des Landes zur Bildung eines Runden Tisches auch ist, so wenig hätte es dazu doch recht eigentlich der Anregung Dritter gebraucht. Sich an einen Tisch zu setzen – darauf hätte der Trägerkreis doch auch selbst kommen können, wenn ihm an einer für alle Seiten gedeihlichen Lösung gelegen gewesen wäre.

Es ist ja nicht das Verschulden des Orchesters, dass der Trägerkreis (der Verein, der die Philharmonie trägt) seit 2010 anscheinend keine Rücklagen gebildet hat, die Tariferhöhungen auffangen können bzw. sollen. Offensichtlich hat mein seitens des Trägerkreises darauf spekuliert, einen Tarifabschluss erzielen zu können, der keine oder nur minimale Lohnsteigerungen oder sogar einen Lohnverzicht enthält.

Diesem Mangel an Vorsorge seitens des Trägerkreises entspricht die Verschleppungs- und Verzögerungstaktik auf der Ebene der tariflichen Verhandlungen. Die Frist zur Umsetzung des im Dezember 2013 zwischen dem Bühnenverein und der Deutschen Orchestervereinigung abgeschlossenen Tarifvertrages wurde bis zum 31.5.2014 – drei Monate länger als bei anderen Orchestern – ausgedehnt; gleichwohl wartete der Trägerkreis bis Mitte April 2014, um in Verhandlungen über einen Haustarif einzusteigen und den Orchestermitgliedern dann ein Verzichtsverlangen in Höhe von fünf Monatsgehältern zu präsentieren.

Das trotz gültigen Tarifvertrags (!!) vom Orchester geschnürte Kompromisspaket, das Lohnverzichtselemente enthielt, aber auch die Besetzung freier Stellen forderte, wurde vom Trägerkreis abgelehnt.

Der Verzicht auf Rückstellungen, vor allem aber das bisherige Verhalten der „Arbeitgeberseite“, des Trägerkreises, machen eines deutlich: Im Grunde genommen wird das Orchester in Geiselhaft genommen und soll für eine Entwicklung zahlen, die es selbst nicht zu verantworten hat.

Das Insolvenzgespenst als Drohinstrument

Wenn in diesem Zusammenhang nun immer wieder Vertreter des Trägerkreises die Aussage treffen, der Verein müsse in die Insolvenz gehen, wenn die Tariferhöhung dauerhaft umgesetzt wird, so hat das zwei Seiten:
Einerseits ist es wiederum Teil eines Bedrohungsszenarios, denn eine Insolvenz des Vereins würde zwangsläufig das AUS für die Philharmonie bedeuten. Und mit dieser (Be-)Drohung schickt man das Orchester nun in die Ferien. Andererseits: Ist die wirtschaftliche Lage aber tatsächlich so düster, wie sie beschreiben wird, dann müssten die Verantwortlichen des Trägerkreises das Insolvenzverfahren jetzt einleiten, denn sonst machten sie sich der Insolvenzverschleppung schuldig.

Unstreitig zwischen allen Beteiligten ist sicherlich die Tatsache, dass die Haushalte der drei Träger auf Kante genäht sind, dass der durch den Tarifabschluss bedingte zusätzliche Zuschuss von 1,4 Millionen Euro nicht mal eben so aus der Portokasse der Träger bezahlt werden kann.

Aber ebenso unstreitig ist doch auch, dass die Finanzprobleme des Trägerkreises nicht durch das Orchester verschuldet, sondern struktureller Natur sind.

Niemand in Gelsenkirchen käme im Kontext der Haushaltsproblematik auf die Idee, die hoch defizitären Bäder (darunter das unter energetischen Gesichtspunkten katastrophal aufgestellte Sportparadies), den defizitären Zoo(m) oder das (defizitäre) Musiktheater für die strukturelle Unterdeckung des Haushaltes verantwortlich zu machen.

Niemand würde von den städtischen Verwaltungsangestellten oder Arbeitern erwarten, auf tarifrechtlich zugesicherte Entgelte zu verzichten und ihnen gegebenenfalls damit drohen, die Stadt würde ansonsten Insolvenz anmelden.

Aber bei einem 130 Köpfe starken Orchester geht das wohl – vermutlich deshalb, weil man davon ausgeht, dass das Orchester keine Lobby hat und im (einst fusionierten) Orchester durchaus unterschiedliche Interessenlagen herrschen.

Es fehlt seitens des Trägerkreises eigentlich nur noch der Hinweis auf die (wachsende) Zahl osteuropäischer Musiker und Musikerinnen, die durch die politischen Entwicklungen, etwa in der Ukraine und in Russland, sozusagen Violine bei Fuß stehen und das musikalische Geschäft für einen Mindestlohn bestreiten würden

Die Strategie des Hinhaltens, des Verunsicherns, der Intransparenz, der offenen oder subtilen Drohungen seitens des Trägerkreises muss ein Ende haben – darauf haben wir als Bürger ein Anrecht, aber in erster Linie natürlich die Musikerinnen und Musiker der Neuen Philharmonie.

Ein Orchester, soll es Abend für Abend Spitzenleistungen erbringen, benötigt Perspektive, Sicherheit und auch – — Ruhe. Die Ruhe, die nötig ist, um aus hoch qualifiziertem Handwerk und Kreativität Kunst entstehen zu lassen. Was der Trägerkreis seit geraumer Zeit aber produziert ist das Gegenteil – Unruhe nämlich.

Die politisch Hauptverantwortlichen – Baranowski und Tesche in Gelsenkirchen und Recklinghausen, Makiolla im Landkreis Unna – haben eine Bringschuld und eine Verpflichtung: Sie müssen sagen, wie es mit der Neuen Philharmonie weiter gehen kann und soll. Ihre Aufgabe wäre es in den Jahren seit 2010 gewesen und ist es jetzt erst recht, die Struktur, die Konstruktion des Orchesters und seines Trägervereins zu überprüfen und eventuell zu überdenken bzw. neu auszurichten. Sie sind auch diejenigen, die dafür verantwortlich sind, falls sich die Neue Philharmonie in die Reihe der Orchester einfügt, die in den letzten Jahren aus der kulturellen Landschaft verschwunden sind.

Ein runder Tisch – ja, gut! Aber es ist an der Zeit, dass die politische Seite den Pfad der Geheimdiplomatie und Verwaltungshinterzimmerberechnungen verlässt.

Die Kommunalwahlzeit ist doch überstanden – die Herren sitzen für sechs Jahre im Sattel. Da darf man wohl erwarten, dass die Politiker mit offenem Visier antreten!

Bernd Matzkowski

(Mitglied im Aufsichtsrat des Musiktheaters im Revier){jcomments on}

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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