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Es gibt im Moment zwei Themen, die um die Schlagzeilenvorherrschaft konkurrieren:

die Situation in der Ukraine und der Konflikt in Palästina/im Gaza-Streifen. Ist der erste Konflikt jüngerer Natur, letztlich eine Folge des Zerfalls des alten Sowjetimperiums und der Auflösung seiner Vasallenstaaten, so ist der Konflikt in Palästina mein Begleiter, seitdem meine politische Sozialisation begonnen hat.

PallästinensertuchDie Kriege und kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und seinen (arabischen) Nachbarn, die Konflikte innerhalb des Lagers der Palästinenser (Hamas, PLO), die vielen (bis heute gescheiterten) Ansätze, einen wirklich tragfähigen Frieden und eine gerechte Ordnung in diesem Teil der Welt zu finden, haben andere Konflikte längst überdauert (Vietnam-Krieg, die Kriege in Afghanistan und im Irak als Beispiele).

In früheren Tagen gelang eine Positionierung in diesem Konflikt häufig recht einfach und schnell: als „Linker“ nahm man natürlich Partei für die PLO, forderte „Freiheit für Palästina“ und trug sogar gelegentlich, als Accessoire seiner Gesinnung, das durch Arafat populär gewordene „Palästinensertuch“.

Heute, so scheint es mir, ist eine Positionierung nicht mehr so einfach – jedenfalls nicht so einfach, wie es jene Demonstranten sich gemacht haben, die kürzlich nächstens durch Gelsenkirchen zogen und die Angriffe Israels auf Gaza geißelten, die Raketen auf Israel aber offensichtlich als gerechtfertigt ansahen, weswegen auch antisemitische Hetze aus den Reihen der Demonstranten („Hamas- Hamas- Juden ins Gas“) nicht auf Widerspruch stieß.

Erstaunt hat mich aber nicht nur die nach außen getragene Eindeutigkeit der Parteinahme oder, anders formuliert, die Schlichtheit der Sichtweise, sondern die Breite der Debatte, die sich um diese Demonstration und den Konflikt um Gaza aufgetan hat, vor allem aber die atemlose Geschwindigkeit der Parteinahme.

Der folgende Beitrag nimmt sich für die Gesamtthematik etwas mehr Zeit; er ist eher daran interessiert, eine Struktur in die Debatte zu bekommen, einzelne Aspekte aufzufächern und einfache Antworten zu vermeiden. Diese hat der Autor nämlich nicht – weil es sie nicht gibt.

 1. was mir auffällt, ist, dass in den vielen beiträgen, die im moment zu lesen (und zu hören) sind, die ebenen ständig durcheinander gehen: so geht es einerseits um straftaten (volksverhetzung etc.) und das verhalten bzw. nicht-verhalten der polizei während der demonstration in gelsenkirchen, dann um den aktuellen konflikt in palästina, ebenso um die rolle der religion und um die jüdische gemeinde in ge und den angriff darauf (zerstörung eines fensters).
natürlich hängt das alles irgendwie zusammen, wie überhaupt alles irgendwie zusammen hängt. aber das ist so richtig wie banal und wenig zielführend im sinne einer klärung. deshalb mal getrennt:

2.was den konflikt in palästina (gaza) angeht, zeigt sich etwas grundsätzliches (was man auch am ukraine-konflikt aufzeigen könnte): seit dem Israel Flaggeende des kalten krieges und der simplen aufteilung in gut und böse, stehen wir häufig vor dem problem zu erkennen, was richtig und falsch ist, wer die guten und wer die bösen sind. im richtigen zeigt sich auch falsches und im falschen gibt es richtiges. was ursache ist und was wirkung, ist auch nicht immer einfach zu erkennen, vor allem wenn beide seiten eines konflikts unrecht begehen oder begangen haben.

nur die großen simplifizierer – von sekten des marxismus-leninismus bis hin zu diversen religiös grundierten …– ismen sind heute noch in der lage, eine ideologische bettelsuppe als erklärende kraftbrühe zu verkaufen. auch wer oder was „böse“ ist, kann wechseln: erinnert sei an afghanistan: als die russen dort besatzer waren, haben die amerikaner (und ihre verbündeten) die kräfte militärisch gestützt und ausgerüstet, die wenige jahre später die spießgesellen des teufels waren.

3. konkret am gaza konflikt: der staat israel, eine gründung der westalliierten nach dem wk II, begeht verstöße gegen das völkerrecht oder allgemeine humanitäre grundsätze, hat bereits mehrfach gegen resolutionen der uno verstoßen etc. (siedlungsbau, absperrung von gaza, behandlung von palästinensern als menschen zweiter klasse etc.); die andere seite wiederum (ganz pauschal) spricht israel das recht auf existenz ab, ruft zur vernichtung des staates auf, terrorisiert mit angriffen und attentaten etc. und geht dabei sogar soweit, die eigenen leute als schutzschilde zu missbrauchen (raketenstellungen in wohnhäusern etc.), verstößt also auch gegen humanitäre grundsätze und das völkerrecht.

die „einfache“ politische lösung – nämlich eine zwei-staaten-regelung – mit gegenseitiger anerkennung, mit kooperation (die beiden seiten gut täte und nutzen würde) ist – warum auch immer- nicht möglich, wahrscheinlich weil es auf beiden seiten hardliner, böse buben, machtgeile politiker etc. gibt.

die israelis müssten z.b. ihren siedlungsbau einstellen bzw. flächen zurückgeben, die palästinensische seite müsste für ein ende von attentaten sorgen und die existenz israels garantieren und in den eigenen reihen aktiv dafür eintreten.

wenn wir unser gesicht nicht verlieren wollen, dann müssen wir auf eine gerechte lösung für beide seiten pochen, dann müssen wir aber auch die verstöße gegen das völkerrecht auf beiden seiten benennen, dann müssen wir das, was schwarz ist, auch schwarz nennen und nicht ins weiße verdrehen. da machen es sich die demonstranten hier in ge doch etwas einfach. ihr weltbild ist zurechtgestutzt, ihr blick ist getrübt.

stadtschild gelsenkirchen4. die religion ist doch zumeist nur eine ideologische überwölbung, sie spielt im gegenwärtigen konflikt auf der israelischen seite, soweit ich das mitbekomme, überhaupt keine rolle. (sie spielt allerdings insofern eine rolle, als extreme und orthodoxe strömungen die israelische regierung am gängelband führen können). sie spielt auf seiten der palästinenser – wie überhaupt im moslemischen raum- durchaus eine rolle. Unter anderem in der variante, sich schnell zum opfer zu stilisieren, eine eigene täterschaft aber zu leugnen oder religiös zu begründen.

nur nebenbei: die algerische nationalmannschaft hat bei der wm vor dem spiel gegen unsere teutonen ja auch verkündet, sie spiele für die gesamte arabische welt und für alle moslems auf der welt. Eine solche überhöhung würde man einer deutschen nationalmannschaft kaum durchgehen lassen, wo man sich doch schon über die läppische dumme gaucho-performance während der meister-feier in berlin ausgiebig aufgeregt hat.

aber schon im dreißigjährigen krieg auf europäischem boden war doch die religion nur der überbau zu den handfesten interessen der großmächte, die ihre heere haben europa zerstampfen lassen.
seit nineeleven ist unser blick aber in besonderer weise auf den islam gelenkt, der durch einige vertreter seinen (kultur-)kampf gegen den „westen“ propagiert und praktisch führt. man sollte dabei aber bedenken, dass die große zahl der opfer innerhalb der moslemischen welt zu beklagen sind (rivalität von glaubensrichtungen, machtkämpfe) – so ähnlich wie bei uns in den auseinandersetzungen in folge der reformation und gegenreformation. und bitte: die meisten moslems leben doch recht friedlich mitten unter uns (oder neben uns her).

 

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5. man schaue sich an, wer da in gaza überwiegend laut schreit und gewalttätig ist (man sieht den gleichen personenkreis in der mehrzahl auch auf dem video von der demo hier): junge männer – in palästina/gaza – überwiegend ohne bildung, ausbildung, arbeit und perspektive, die lauthals schreien“allah ist groß“ und voller rassistischer vorurteile sind. aber auch in diesem fall wird man soziale, ökonomische und politische strukturen erkennen können, die von religiösen überwölbt sind.


6. die religiösen aspekte spielen dort eine negative rolle, wo sie die entwicklung einer gesellschaft hemmen, wo sie strukturen begünstigen, die eine entfaltung der individuen hemmen, die die freiheit des individuums beschränken- und das ist in teilen der islamischen welt so (patriarchalismus, einschränkung persönlicher freiheit, unterdrückung der frauen, bildungsfeindlichkeit etc.). elemente davon finden wir aber auch im christentum (etwa bei den kreationisten, den hardcore-baptisten, in strömungen der katholischen kirche) und in strömungen des judentums – kurz zumeist da, wo eine säkularisierung nicht stattgefunden hat. das finden wir übrigens auch in gesellschaften, die nicht von den abrahamitisch-monotheistischen religionen durchzogen sind (siehe indien und das dort weit verbreitete frauenbild sowie das kastenwesen). es ist also nicht nur ein problem der drei großen monotheistischen religionen, die ja – das nur am rande – alle ihre wurzeln in diesem eng umzirkelten teil der erde haben.

7.zur demo in ge:ich mag all die gründe für das verhalten der polizei nicht mehr hören: zunächst gilt es zu ermitteln und nicht schon im vorfeld abzuwinken. dass man einen einzelnen schreihals nicht identifizieren kann, mag ja nicht einfach sein. im video sind die rufe deutlich und mehrfach zu hören. die polizei hat hier eine bringschuld.

8. kurz und gut: wir stehen vor dem problem, dass fanatisierte menschen (moslemischen glaubens) die israelische politik kritisieren – und dabei auch tendenzen zum antisemitismus als besonderer form des rassismus deutlich, ja vielleicht zu tragenden elementen werden – was dann dazu führen kann, dass auch der alt- und neonazi gerne mal bei der demo mitmacht (denn wo von juden vergasen die rede ist, da fühlt er sich wohl).

dagegen muss man sich wenden.

und dagegen, dass die hamas das eigene volk als schutzschild missbraucht und billigend in kauf nimmt, dass die israelischen bomben und granaten zivilisten treffen, weil sich mit weinenden müttern und toten kinder propaganda machen lässt.

aber das heißt noch lange nicht, die politik und militärstrategie israels gut zu heißen. dass bei einer kritik an israels vorgehen recht schnell der vorwurf des anti-semitismus erhoben wird, sagt nichts über die berechtigung dieser kritik aus, sondern lediglich darüber, dass es auf beiden seiten große simplifizierer gibt.

das mag dazu führen, dass man zwischen allen stühlen sitzt. das kann unbequem sein.

aber die wahrheit ist meistens unbequem.

und macht einsam.

 

LiveTicker der Ruhrbarone zur Demo in Essen am 18.07.14

Bericht der WAZ über die Demonstrationen

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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