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12. Tag, abends
Wir saßen in unserer Zelle, leckten unsere Wunden und legten ein Puzzle. Ich hatte einen kräftigen Schlag in die Kniekehlen und auf den rechten Arm bekommen, die Bewegung beim  Legen der Puzzleteile bereitete mir Schmerzen.

Auto-Manni hatte es bei der Prügelorgie am Morgen etwas heftiger getroffen. Seine linke Wange war  stark angeschwollen, zwei große rote Striemen zogen sich von der Stirn bis zum Kinn. Aber er klagte nicht.

Den ganzen Tag über hatte eine angespannte Stimmung geherrscht, aber zu weiteren Vorfällen war es nicht gekommen. Auf allen Fluren und in den Arbeitsbereichen waren Wachleute Gräffkes postiert, er selbst war nicht zu sehen gewesen und hatte wohl Wallbaums Arbeitszimmer in Beschlag genommen.

„Und du wusstest schon am Abend vorher, dass Qualle – dass Wallbaum abgeholt werden würde?“

Manni nickte und legte den rechten Fuß des Regierungschefs an.

„Darüber haben wir geredet, als du am Speisesaal vorbeigerauscht bist. Und in der Zelle hast du dann ja lieber einen auf schweigende Nacktschnecke gemacht. Wirst schon deine Gründe gehabt haben!“

„Hatte ich. Aber danke noch fürs Zudecken!“

Ich legte den zweiten Fuß an.

„Wie hätte das denn ausgesehen – ich mit einem nackten Mann in der Zelle. Jedenfalls haben wir im Saal die kleine Aktion von heute Morgen besprochen.“

„Das war also nicht spontan?“

„Unser Bio-Schlappen-Musiker hatte die Idee. Und wir fanden sie gut. Und trotz der Ralley-Streifen in meinem Gesicht: ich finde sie auch jetzt noch gut.“

Manni arbeitete an den Beinen des Regierungschefs, die ich komplettierte.

„Und woher wusstest du das mit Wallbaum?“

Manni zog vernehmlich Luft die Nase hoch- er war eben nicht der Taschentuch-Typ, griff sich ein Puzzle-Teil, es war die linke Hand, sah mich an und sagte dann:

ballpuzzel„Von ihr!“

„Von wem?“

„Na, von ihr. Von Sauber! Von Frau Dr. Sauber – oder ist dir Samantha lieber oder Anastasia!“

Ich muss in diesem Moment ziemlich begriffsstutzig ausgesehen haben, denn Manni schob nach:

„Du guckst ja wie ein Fahrrad- nur nicht so schnell!“

Mir erschloss sich die Metapher nicht. Stattdessen fragte ich:
„Du redest mit Sauber über brisante Vorgänge hier in der Anstalt? Und sie wusste das mit Wallbaum?“

„Sie wusste auch, dass Gräffke den Vorfall von neulich nach oben gemeldet, Wallbaum also denunziert hat, vermutlich, weil er selbst auf den Posten scharf war. Ja, von ihr wusste ich es. Wir reden nämlich über alles Mögliche – während der Therapiestunden, nur nicht über  den ganzen Ich-verspreche-mich-zu-bessern-und-werde- jetzt- ein- korrektes-Leben-führen-Quatsch. Darüber reden wir schon lange nicht mehr. Sie hat doch schon zwei äußerst positive Prognosen über mich verfasst- und unser guter alter Qualle – ich bleibe jetzt mal dabei – hat sie gegen gezeichnet. Und ich bin immer noch hier. Meinst du etwa, sie wüsste nicht, wie das Spiel läuft.“

Manni fügte die Hand ein, ich ergänzte den Unterarm und suchte in den noch verbliebenen Teilen herum.

„Und worüber redet ihr so?“

„Zum Beispiel über Autos.“

„Ihr redet über Autos?“

„Unter anderem. Sie ist eine fast so große Autonarrin wie ihr Bruder. Der hatte eine riesige Oldtimersammlung – in den alten Zeiten. Das Prunkstück war ein feuerroter Mercedes Benz 500 k aus den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Ein automobiler Leckerbissen. Jetzt ist er mit den ganzen Fahrzeugen samt Familie im Ausland. Hat sich noch absetzen können, bevor das Verbot von Benzinern und Dieselfahrzeugen kam. Habe damals ab und zu an seinen Wagen rumgeschraubt, Originalteile besorgt, die Wagen auf Vordermann gebracht. Seit den Zeiten kenne ich sie schon. Und seitdem kenne ich auch ihren größten Wunsch.“

„Und?“

„Na, mit dieser feuerroter Karre einmal die Promenade des Anglais entlang von Nizza nach Monte Carlo und zurück- natürlich bei offenem Verdeck. Und mit einem  feschen Begleiter.“

„Wallbaum  vielleicht?“

„Wie kommst du denn auf den?“  

„Ich glaube, dass ich sie weinend am Fenster gesehen habe, als Wallbaum…“

„Ach, Quatsch“ sagte Manni, fummelte den Oberkörper des Regierungschefs zusammen und fuhr fort:

„Die kennen sich doch aus dem Studium. Sie hat mir mal gesagt, dass Wallbaum als Neurochirurg an der Uni-Klinik  etwa so gut gewesen sei wie ich als Schrauber, also ein Top-Mann. Ne, die waren einfach ein eingespieltes Team hier, mochten sich halt. Und was Frauen und Wallbaum angeht: völlige Fehlanzeige. Wenn er dein Zellennachbar gewesen wäre und du hättest dich als Nacktschnecke offenbart, ja, dann hätte er vielleicht…“.

Er beendete den Satz nicht.

„Und weißt du, was das Schärfste ist?“ setzte er wieder ein.

Ich verneinte.

„Die Nummer mit dem Buch.“

„Ich verstehe nicht. Welches Buch?“

„Na, das Kochbuch, das Kotzer auf seine Anordnung hin Gratzek gebracht hat. Mit der Rezeptempfehlung.“

„Das Rezept mit der Karikatur?“

„Ja, zeichnen konnte er auch, der Wallbaum. Und was steckte zwischen den Seite mit dem Rezept und der Folgeseite? Kommst du nie drauf! Eine Sim-Sala-Bim-Karte.“

„Was?“

„Da steckte eine Sim-Karte. Für Handys! Genauer: für das von Ehrgart und Gratzek gebastelte Handy. Im Buch steckte auf der Seite mit der Karikatur eine von Wallbaum dort platzierte Sim-Karte!“

Und in meinem Hals steckte ein Kloß, der von Satz zu Satz, den Manni sagte,  größer wurde. Was hatte ich da angerichtet und was hatte ich kaputtgetrampelt?

„Sollen wir den wirklich komplett machen?“, fragte Manni. Er hielt die Teile des Gesichts der Regierungschefs zwischen den Fingern.

„Wenn ich ganz ehrlich bin: Ich kann diese Hackfresse nicht mehr sehen. Diese von den Bildern glotzenden Augen, dieses Klapperschlangen-Lächeln, diese Gesichtswurst.“

„Ne, müssen wir nicht“, antwortete ich. Ich schwitzte und fror zugleich, der Kloß wuchs weiter, ich hatte das Gefühl, mich übergeben zu müssen.

„Ich glaube, ich muss mal zur Toilette, mir ist irgendwie übel“, sagte ich.

„Ja, dann geh mal reihern. Und ich klopp den hier inzwischen in die Tonne.“

Er sammelte die Puzzleteile ein und warf sie in den Mülleimer.

„Weg mit dir, du Arsch, dahin, wo du hingehörst“, hörte ich ihn sagen, als ich auf den Flur wankte.

Ich taumelte den Weg zu ihrem Büro entlang, musste immer wieder stehen bleiben und  mich an den Wänden abstützen – verfolgt von den Augen der schon wieder erneuerten Porträts. Die fragenden Blicke einiger anderer Insassen ignorierte ich. Ich wollte zu ihr, wollte mich erklären, um Verzeihung bitten, notfalls auch wieder einen Herzaussetzer in Kauf nehmen.

An der Tür zum Sekretariat hing eine Mitteilung:

„Alle Sitzungen müssen bis auf weiteres auf Grund der Erkrankung von Frau Dr. Sauber ausfallen.“

Ich stand wie in einer Schockstarre vor der Tür und las den Zettel wieder und wieder. Dann machte ich kehrt.

Ich riss sie  die frischen aufgehängten Porträts von der Wand, trampelte darauf herum, bis ich nicht mehr an mich halten konnte. Ich kotzte dem Regierungschef und der Parteivorsitzenden ins Gesicht. Und ich ließ dabei alles raus, was ich im Magen hatte.{jcomments on}

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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