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Heute (jetzt)

Das Fernsehgerät zeigt Bilder von einer vieltausendköpfigen Demonstration. Der Kameramann schwenkt über die Menschenmenge hinweg und konzentriert sich dann auf die erste Reihe. Gratzek, Kotzer, Ehrgart und sie – und neben ihnen erkenne ich noch andere aus unserer Gruppe. Alle haben sich eingehakt. Sie bewegen sich auf einen Trupp Sicherheitskräfte zu, der die Straße abgesperrt hat.

Wahrscheinlich weil sie die einzige Frau in der ersten Reihe ist, zoomt die Kamera sie heran. Und zeigt ihr Gesicht in einer Großaufnahme genau in dem Moment, als sie von einer Tränengasgranate getroffen wird.

„Can´ t believe it“, sagt da Silva, der den Raum betreten hat, ohne dass ich es gemerkt habe, und hinter mir steht.

„I must go back“, sage ich zu ihm.

„You´r crazy, bloody fucking idiot”, ist seine Antwort.

„That´s not possible!“

„Please- make it possible. I have to go back!”

Ich ergreife seine beiden Schultern, schüttele ihn, während meine Augen beginnen, feucht zu werden.

Er löst meine Hände und blickt an mir vorbei auf die Flimmerkiste. Die Kamera zeigt, wie sie von Gratzek und Ehrgart an den Rand der Straße getragen wird.

Da Silva sieht nun mich an. In seinen dunkelbraunen Pupillen kann ich lesen, was die Bilder und meine Reaktion ihm verraten haben.

„She´s your girl?“

Ich brauche nicht zu antworten. Er hat verstanden.

Er tritt zur Seite, zieht sein Funkgerät heraus. Eine halbe Minute geht ein Gespräch zwischen ihm und einer blechernen Stimme aus dem Gerät hin und her.

„Let´s go!”

Wir laufen zu seinem Fahrzeug. Die drei Mechaniker, die an der riesigen Maschine in der Halle arbeiten, schauen uns verwundert an, als wir in den Werkstattwagen springen und da Silva losrast – quer über das Flughafengelände. Er steuert die Maschine an, mit der ich gekommen bin. Als ich in den Lift steige, der mich nach oben in den Fahrwerkschacht trägt, reicht da Silva mir seine Taschenlampe und ruft mir zu:

„Hasta la victoria siempre!“

endeIch steige in den Schacht, höre noch, wie er etwas in sein Funkgerät spricht. Sein Fahrzeug rollt fort, und nur wenige Augenblicke später beginnt das Flugzeug, sich in Bewegung zu setzen. Ich ergreife den Kabelstrang, der mir schon auf dem Hinflug als Halt gedient hat.

Das Sauerstoffgerät! Ich muss es niedriger einstellen, muss die Sauerstoffzufuhr reduzieren, damit die Luft für den Rückflug reicht. Ich mache die Taschenlampe an und schrecke zurück.

Mir gegenüber, in der anderen Ecke des Fahrwerkschachtes, liegt ein totes Schwein, mindesten zweihundert Pfund schwer. Im Licht meiner Taschenlampe glotzt es mich aus seinen gebrochenen Augen hämisch an, als scheint es sagen zu wollen:

„Mann, bist du eine dumme Sau!“

Die Maschine nimmt Tempo auf, wird schneller und schneller und hebt ab. Als die Räder eingefahren werden und der Schacht sich schließt, sind wir allein im Dunkeln.

Mein Schwein und ich.

Keiner von uns beiden hat das Bedürfnis nach einem gepflegten Gespräch.

Also schweigen wir.{jcomments on}

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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