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Der Euro ist nicht zukunftsfähig. Die Art und Weise, wie die EU diese Krise anging, war monumental idiotisch. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Situation nicht unter Kontrolle, Europas Bankensystem bleibt weiterhin fragmentiert, und wir bewegen uns eher in Richtung Nationalisierung der Politik als in Richtung Fiskalunion. Wenn wir Europas Probleme weiterhin so behandeln wie bisher, wird es in ein paar Jahren keinen Euro mehr geben.“

 

Yanis Varoufakis (Anna Giulia Fink: Yanis Varoufakis: Griechenlands neuer Finanzminister im Interview. In: profil. 27. Januar 2015)

Ganz ehrlich: als Syriza (Koalition der Radikalen Linken) als Wahlsiegerin feststand, habe ich das nicht mit Begeisterung, aber doch mit großer Sympathie zur Kenntnis genommen. Endlich, so dachte ich, schaffen es die linken Kräfte in einem Land einmal, ihre kleinkarierte Konkurrenz untereinander zu überwinden, um eine abgewirtschaftete Regierung, die keine Politik für ihr Volk macht, abzulösen. Dass Syriza eine Koalition mit der ANEL-Partei einging, in der starke anti-deutsche Ressentiments vorherrschen und die eher am rechten Rand des politischen Spektrums zu verorten ist, trübte meine Freude etwas. Aber bei den Mehrheitsverhältnissen in der Koalition hoffte ich darauf, dass….eine Hoffnung, die übrigens in unserer deutschen Geschichte sich auch schon einmal als trügerisch erwiesen und katastrophale Folgen gezeitigt hat.

Aber das schien mir letztlich ebenso ein Nebenaspekt zu sein wie das Gehabe des neuen griechischen Finanzministers, der den Eindruck erweckte, er inszeniere sich mit seinem Motorrad und seinem roten Rucksack bewusst für eine Fotostrecke in der GALA oder lege es darauf an, den Boulevard und seine „Zeitungen“ zu bedienen. So etwa die BILD (am 12.2.2015) über Varoufakis:

(…) daheim fliegen ihm die Frauenherzen zu – in Athen ist das Schreckgespenst der Euro-Zone ein Sexsymbol!Die Frauen sind von dem linken Wirtschaftswissenschaftler, der in Australien gelebt und gearbeitet hat: hin und weg!“

Hin und weg – das sind allerdings mittlerweile allerdings auch meine Sympathien für diese Regierung. Nicht für die große Linie ihrer Kritik an den europäischen Institutionen, sondern für ihre handwerklichen Unzulänglichkeiten und für teilweise niveaulose Propaganda.

Wie lässt sich das Hin und Her der letzten Tage, wie lassen sich die teilweise widersprüchlichen, ja- chaotischen Entscheidungen der griechischen Regierung erklären, dieses nahezu im Sekundentakt wechselnde Ablehnen von neuen Vorschlägen (mit durchaus guten Gründen) und den Bittstellerbriefen, die Geld erhoffen, aber ansonsten völlig unkonkret sind. Und wie lässt sich ein Referendum über eine Fragestellung erklären, die nicht mehr aktuell ist?

Vielleicht mit Ansätzen, die mittlerweile nahezu in Vergessenheit geraten sind!

Finanzminister Varoufakis ist Ökonom, er hat sich intensiv mit der Spieltheorie beschäftigt, einer wirtschaftswissenschaftlichen, aber eigentlich aus der Mathematik kommenden Betrachtungsweise von Problemen. In der Spieltheorie geht es, grob und verkürzt gesagt, darum, Vor- und Nachteile bestimmter Entscheidungen in Konfliktsituationen zu bewerten. Die Bezeichnung der Theorie weckt nicht ohne Grund Assoziationen an Gesellschaftsspiele, etwa Schach. Ein bestimmter Zug, den ich mache, beeinflusst das Verhalten meines Mit- und Gegenspielers, also muss ich bedenken (berechnen), welche Auswirkungen mein Zug auf seinen (und meinen) nächsten und die folgenden Züge haben wird.

In der Spieltheorie gibt es verschiedene „klassische“ Beispiele für Konfliktsituationen:

Beim Feiglingsspiel (engl. Chicken Game), Spiel mit dem Untergang, Hazard bzw. Angsthase handelt es sich um ein Problem aus der Spieltheorie. Dieses Spiel ist auch unter dem Namen Brinkmanship in der Literatur bekannt (…). Es geht um das Szenario einer Mutprobe: Zwei Sportwagen fahren mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zu. Wer ausweicht, beweist damit seine Angst und hat das Spiel verloren. Weicht keiner aus, haben beide Spieler zwar die Mutprobe bestanden, ziehen jedoch daraus keinen persönlichen Nutzen, weil sie durch den Zusammenprall ihr Leben verlieren.

Der Begriff Brinkmanship (engl. für „Spiel mit dem Feuer“ oder „Politik am Rande des Abgrunds“) bezeichnet die strategischeDrohung, in der Politik oder im Spiel bis zum Alleräußersten zu gehen. Der Begriff ist abgeleitet von dem englischen Wort „brink“ („Rand eines Abgrunds“). Gemeint ist die Fähigkeit bis zum Äußersten zu gehen, um den Gegenspieler zum Nachgeben zu bewegen – also sinnbildlich mit dem Gegenspieler zusammen bis zum Rand eines Abgrunds zu gehen, wodurch der Gegenspieler aus Angst vor dem gemeinsamen Absturz zum Nachgeben gebracht werden soll.(Quelle: WIKIPEDIA, Spieltheorie)

Betrachtet man das Verhalten der griechischen Regierung in den letzten Wochen (und sogar Monaten) vor dem Hintergrund der als Beispiele genannten Spieltheorie-Modelle, so könnte man zu der Auffassung gelangen, Varoufakis und Tsipras haben bewusst auf eine Brinkmanship-Situation zugesteuert. Die Situation in den letzten Tagen zeigt uns Griechenland am Abgrund. Rentner und Pensionäre, für die sich diese Regierung doch einsetzen wollte, können nicht über ihr Geld verfügen; die „einfachen Leute“ (der kleine Mann und die kleine Frau von der Straße), für die Tsipras doch kämpfen wollte, sehen sich gezwungen, Benzin und bestimmte Lebensmittel zu bunkern, das Referendum wird das griechische Volk nicht einen, sondern spalten.

Varoufakis und Tsipras haben sich ganz offensichtlich verzockt, denn der Gegenspieler hat eben nicht nachgegeben. In der Strategie der griechischen Regierung, wenn es denn überhaupt eine war, hat man offensichtlich darauf gesetzt, dass die europäischen Partner, die Gläubiger, die „Institutionen“ entnervt allem, was aus Athen kommt, zustimmen würden, weil man nicht – samt den Griechen – in den Abgrund (den „Grexit“ und die Erschütterung Europas) stürzen wolle. Aber nun sehen sich die Partner offensichtlich nicht in der Gefahr, in den Abgrund gerissen zu werden. Vielmehr stehen sie am Rand – durchaus bereit, den Griechen beim Sturz in die Tiefe zuzusehen.

Nimmt man das eingangs des Beitrags angeführte Zitat von Varoufakis für bare Münze, so kann man – nein muss man sogar zu der Auffassung gelangen, der griechische Finanzminister steuere bewusst auf eine Auflösung der Euro-Zone zu uns setze auf die Wiedereinführung der Drachme („Nationalisierung der Politik“). Und um dieses Ziel zu erreichen, hat er alle Schritte auf dem Weg zu einer Brinkmanship- Situation getan – sich aber verrechnet.

Wohlgemerkt: Das sagt nichts über die Richtigkeit der griechischen Kritik an den Forderungen und bisherigen Maßnahmen der Geldgeber, das sagt nur etwas über den möglichen (theoretischen) Hintergrund des Verhaltens von Tsipras und Varoufakis.

Bei all der Beschäftigung mit Griechenland in den letzten Tagen und Wochen, bei der es fast immer nur um Geld ging, bleibt ja noch zu bedenken, ob Europa (besser: die Idee von Europa) nicht sowieso bereits gescheitert ist. Denn die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind nicht in der Lage, einen Konsens in der dringendsten humanitären Frage dieser Tage zu finden, nämlich im Umgang mit den Flüchtlingen, die an die Tür der Festung Europa klopfen. Für die Menschen, die sich unter lebensgefährlichen Umständen aus den heimischen Kriegs- und Armutsgebieten auf den Weg nach Europa machen, scheint dieser alte Kontinent immer noch so etwas wie das Paradies zu sein, zumindest ein Vorhof davon. Wenn sie sich da mal nicht täuschen!{jcomments on}

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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