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Folge 2

Heute stehen wir im Supermarkt vor schier endlosen Regalreihen mit Milch und Milchprodukten wie Joghurt, Käse und Butter. Alles abgepackt in diversen Größeneinheiten und Dutzenden von Varianten.
Was die Butter angeht, bin ich durch das ehemalige WEKA-Kaufhaus geprägt. Als es noch den Namen Kaufhaus verdiente, befand sich im obersten Stockwerk, das man auch mit einem Aufzug incl. Fahrstuhlführer erreichen konnte, der die auf den einzelnen Etagen angebotenen Produkte ausrief (Beispiel: „2. Stock: Damenoberbekleidung, Wäsche, Kurzwaren“), die Lebensmittelabteilung. Dort ging meine Mutter mit mir als Begleitung gelegentlich einkaufen.
Butter gab es dort als riesigen Block! Ein großer goldgelber und glänzender Würfel, von dem mit einem geeigneten Messer die gewünschte Menge an Butter mehr oder weniger exakt abgeschnitten wurde („Dürfen es auch 10 Gramm mehr sein?“). Beeindruckend!
Milch kaufte man natürlich nicht in einem Pappkarton, sondern im (Milch-)Laden an der Ecke in der mitgebrachten Milchkanne oder – was sich schließlich durchsetzte – in Milchflaschen. Diese Flaschen waren mit dünnen Aluminiumdeckeln verschlossen, deren unterschiedliche Farbe anzeigte, um was für eine Milch es sich handelte.
Ein goldener Deckel signalisierte: Vollmilch. Der silberne Deckel verschloss die Flasche mit der weniger fetten Milch, und – eine Besonderheit – der grüne Deckel sagte mir: Buttermilch. Für uns Kinder hatten die Deckel neben ihrer Verschlussfunktion aber eine andere Bedeutung: sie dienten uns als Medaillen.
1960 fanden die Olympischen Spiele in Rom statt. Mehrere Bewohnerinnen und Bewohner unseres Hauses versammelten sich bei dieser Gelegenheit zum gemeinsamen Verfolgen einiger Wettbewerbe in der Wohnung des einen Mieters, der bereits ein Fernsehgerät besaß (er arbeitete nämlich bei Philips). Wir beklatschten begeistert Armin Hary, der in 10,2 Sekunden die Goldmedaille über 100 Meter holte (und später mit der 4 X 100-Meter-Staffel eine zweite Goldmedaille gewann). Und wir Kinder beschlossen, nun selbst einmal „Olympiade“ zu spielen, wobei sich Kinder aus der Nachbarschaft beteiligten. Es gab einen Marathon-Lauf mit zwei Teilnehmern(einer davon war ich), der von der Dresdener Straße über die Franz-Bielefeld-Straße durch den Heimgarten und die Grenzstraße zurück zur Dresdener führte, wo unser Wohnhaus lag, ein Reit- und Springturnier mit auf dem Hinterhof aufgebauten Hindernissen (man war Reiter und Pferd zugleich), Speerwerfen mit einer Eisenstange, wobei ich meiner liebsten Mitbewohnerin beinahe ein Auge ausgeworfen hätte, und verschiedene Sprintwettbewerbe (hier siegten übrigens die Mädchen!).
Und die Sieger sollten natürlich mit einer Medaille ausgezeichnet werden. Wir begannen also zur leichten Verwunderung des einen oder anderen Elternteils mit dem Sammeln von Milchflaschendeckeln. Als genügend Deckel zusammen gekommen waren, trafen wir uns zum Medaillen-Basteln. Etwaige Falten oder Knicke in den Deckeln wurden beseitigt, so dass sie wieder schön glatt waren. Danach wurden sie mit einem Faden versehen, so dass man sie dem jeweiligen Gewinner um den Hals hängen konnte. Nun konnten die Olympischen Spiele in der Dresdener Straße beginnen!
Nach jedem Wettbewerb gab es eine feierliche Überreichung der Medaillen! Und wenn auch die grünen Deckel nicht ganz einer Bronzemedaille gleich kamen, so geriet dank der Milchdeckel diese Zeremonie fast so würdevoll wie bei den Olympischen Spielen!

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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