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Folge 9
Mein Kofferradio bekam ich von meinem Patenonkel Gustav zu meiner Konfirmation zu Beginn der zweiten Hälfte der 60er Jahre. Es hatte eine hell-braune Holzfront. Ich vermute, dass mein Patenonkel dieses Gerät ausgewählt hat, weil es ihm optisch und vom Material her zusagte. Er hatte nämlich einen Holzgroßhandel.
Das Kofferradio – das wegen seines klappbaren Bügels bzw. Griffs wie ein Koffer getragen werden konnte – war schon in den 50er Jahren durchaus populär bei Jugendlichen, in den 60er aber bekam seine Beliebtheit noch einmal einen Schub, denn es wurde durch seine technische Weiterentwicklung in mehrfacher Hinsicht ein Tor zur Freiheit: durch die Einführung von Transistoren, die die schweren Röhren ersetzten, wurde das Radio handlicher, vor allem aber leichter und damit auch leichter transportierbar. Mit der Entwicklung der 9 Volt Batterien, die das Gewicht gegenüber den vorher gebräuchlichen Batterien ebenfalls reduzierten, hatte es zudem seine eigene Stromquelle. Man war also frei vom Standort des Radio-Riesenkastens im elterlichen Wohnzimmer und einer Steckdose. Hatten Radios bisher nur eingeschränkte Frequenzmöglichkeiten (Mittel- und Langwelle), kam nun die Ultra-Kurz-Welle hinzu (UKW) und damit die Möglichkeit, Sender zu empfangen, zu denen man bisher keinen freien Zugang hatte. Aufgrund seiner Transportierbarkeit konnten Jugendliche jetzt ihre Musik im wahren Sinne des Wortes im „Freien“ hören, so dass sich im Freibad, im Hinterhof oder an der Straßenecke Jugendliche um ein Radio versammeln konnten, um ihre Musik zu hören.

Compactcassette - Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
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Das Radio wurde zum Element der Alltagskultur Jugendlicher, aus dem ihre bevorzugte Musik schepperte. Was in der DDR übrigens, wo das Transistorradio als „Heule“ bezeichnet wurde, besonders das Missfallen der Staatsorgane erregte („westliche Dekadenz“).
Ich hörte in jener Zeit regelmäßig den britischen Soldatensender BFBS (British Forces Broadcasting Service). Das Programm war musiklastig und die Moderatoren waren locker. Und einmal in der Woche gab es die „Top Twenty Show“. Und hier wurden die aktuellsten Hits der Beat-Musik gesendet.
Da saß ich also am Sonntag neben meinem Radio, an das der Kassettenrecorder angeschlossen war. Und nun galt es Obacht zu geben! Denn man wollte ja nicht die komplette Sendung samt Moderation aufnehmen, sondern in erster Linie die ganz neuen Hits, die man noch nicht auf der Kassette hatte. Also war zum geeigneten Zeitpunkt zu Beginn und am Ende eines Liedes jeweils die Aufnahme- oder die Stopp-Taste zu drücken.
Und zumeist hatte man leider neben den letzten Wortfetzen der Moderation, die oft den Beginn eines Liedes überlappte, auch noch dieses bescheuert-seltsame Schlürf- oder Schmatzgeräusch auf der Aufnahme, das durch das Drücken der Taste bzw. das Starten des Bandes entstand und so klang, als zöge jemand mit gegen den Gaumen gepresster Zunge Luft in die Mundhöhle oder hätte eine Klospülung verschluckt. Schlüüüööööffffchhhh – so oder so ähnlich klang das!
Das war natürlich störend und ärgerlich! Ganz besonders ärgerlich und störend aber bei langsamen Titeln! Und geradezu grausam störend ärgerlich bei langsamen Stücken, bei denen man versuchte, einem Mädchen beim „Klammerblues“ näher zu kommen.
Nicht klar, was ich meine?
Dann ´mal bitte den „summer of love“ hit „A whiter shade of pale“ von Procul Harum (1967) auf eurer Super-Anlage abspielen und dabei den Drücker des Wasserkastens auf der Toilette betätigen!
Schlüüüööööffffchhhh! Wie soll man sich dabei näher kommen!

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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