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Folge 10

Nein, Erbensuppe war noch nie mein Ding! Die gab es bei uns aber mehr oder weniger regelmäßig an Samstagen im Wechsel mit Eintöpfen und anderen kräftigen Suppen. Und dass ich diese Suppe nicht mochte, lag nicht daran, dass meine Mutter nicht kochen konnte (im Gegenteil: sie war eine tolle Köchin). Es lag auch nicht nur an den schweinischen Bestandteilen der Suppe wie Pfötchen, die mir schon ihres schwabbeligen Aggregatszustandes wegen nicht zusagten. Ich mochte einfach die mehlig-sämige Konsistenz dieses deutschen Suppenklassikers nicht, wogegen ich Erbsen als Beilage, etwa als „Leipziger Allerlei“ in Kombination mit Möhren und Spargelstücken, durchaus zugetan war.
Mein Erbsensuppengroll, das kam erschwerend hinzu, begann nicht erst mit dem Auftragen der Suppe am samstäglichen Mittagstisch, sondern schon am Vorabend, denn diese Hülsenfrucht der Unterfamilie Schmetterlingsblütler wurde schon am Freitagabend in Wasser eingelegt, um eingeweicht zu werden und am Folgetag die Kochzeit zu verkürzen. Ich wusste also schon immer freitags, was am Samstag ernährungsmäßig auf mich zukam.
Die Notwendigkeit des Einweichens ist der Härte der getrockneten (und ansonsten noch unbehandelten) Erbse geschuldet, der der dänische Dichter H.C. Andersen in der Geschichte von der „Prinzessin auf der Erbse“ ein Denkmal gesetzt hat. Die junge Frau, die regennass um Einlass ins Schloss bittet, erweist sich bekanntlich dadurch als Prinzessin, dass sie die auf den Boden der Bettstelle gelegte Erbse durch 20 Matratzen und 20 Eiderdauendecken als hart und störend spürt und deshalb schlecht schläft.
Derart harte Erbsen pflegte meine Mutter für die Zubereitung der Suppe im Lebensmittelladen an der Ecke zu kaufen – zumeist in 500-Gramm Packungen (Tiefkühlprodukte waren damals noch nicht verbreitet). Der Herkunftsort der Erbsen ist für mich also noch leicht bestimmbar. Das Geschäft auf der Gelsenkirchener Bismarckstraße gibt es heute allerdings nicht mehr.
Woher wir die etwa 40-50 cm langen Kupferrohre hatten, weiß ich dagegen nicht mehr. Wenn mich meine Erinnerung nicht ganz täuscht, hatte sie „Sternchen“, der Nachbarsjunge aus dem Nebenhaus, dessen Vater mit Installationen zu tun hatte, irgendwie besorgt. Woher die Dinger kamen war letztendlich auch nicht wichtig und nicht interessant. Interessant war dagegen die Entdeckung, dass die harten Erbsen wunderbar durch diese Rohre passten, so dass die Kombination von Kupferrohr und Schmetterlingsblütler sich bestens eignete, um eine gewisse Distanz durch Pusten zu überwinden. Etwa aus dem Fenster einer Wohnung über die Straße hinweg bis zum anderen Bürgersteig. Und nach einer Zeit des Übens waren „Sternchen“ und ich nicht nur in der Lage, aus dem 1. Stock, in dem die Wohnung von „Sternchens“ Eltern lag, Objekte auf der gegenüber liegende Seite der Straße zu treffen, etwa ein Verkehrsschild oder Fensterscheiben, sondern wir konnten auch bewegliche Ziele erfassen.
Und so verbrachten wir, da Sternchens Eltern aus beruflichen Gründen nachmittags häufig nicht Zuhause waren, manche Stunde am Wohnungsfenster des Nachbarhauses und kamen uns vor wie mit Blasrohren bewaffnete Jäger aus Südamerika.
Unser Tun brachte nur zwei Probleme mit sich. Zunächst war darauf zu achten, dass man von beweglichen Zielen nicht entdeckt wurde, wenn man einen Treffer gelandet hatte. Man musste also flink sein, vom Fenster verschwinden und durfte nicht zu laut lachen.
Das zweite Problem war größer: Wie an die Munition kommen? Unsere Mütter hätten uns wohl die Ohren lang gezogen, wenn wir unter Angabe des vorgesehenen Verwendungszwecks um Erbsen gebeten hätten. Darum war das Einkaufen von Erbsen angesagt, denn an einem Nachmittag konnte man locker so ein Päckchen verballern. Folglich ging unser Freizeitspaß ins (Taschen-)Geld, was die Freude auf Dauer etwas trübte. Mir war aber etwas anderes wirklich unangenehm. Bei mir setzte sich der Gedanke im Kopf fest, die Verkäuferinnen im Lebensmittelladen könnten zu der Annahme gelangen, meine Mutter kochte nahezu täglich Erbsensuppe. Deshalb konnte ich nach einiger Zeit nicht mehr unbefangen in den Laden gehen, mein Geld auf die Theke legen und wie selbstverständlich sagen: „Ein Päckchen, Erbsen, bitte!“
Aber irgendwann verlor der Pusterohrspaß sowieso seinen Reiz und wir stellten unsere entsprechenden Aktivitäten ein.
Das hat aber nicht dazu geführt, dass ich der Erbsensuppe meine geschmackliche Aufmerksamkeit schenkte! Bis heute übrigens nicht!

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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