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Folge 11:

Über uns: die Sahara. Jedenfalls habe ich sie mir als Kind immer so heiß und trocken vorgestellt wie der Trockenboden über unserer Wohnung in den Sommermonaten war. Die Isolation mit Dämmstoffen war in den Jahren nach dem Weltkrieg kein Thema. Stand man in unserem Haus auf dem Trockenboden, so sah man das Gebälk des Dachstuhls, die Dachpfannen und unverputzte Wände. Und durch zwei kleine Fensterluken einen Ausschnitt vom Himmel.
Und man sah die Wäscheleinen, die dort gespannt waren, ausgestattet mit kleinen, an Haken hängenden Taschen oder Beuteln, in denen Wäscheklammern aufbewahrt wurden – damals natürlich zunächst nur aus Holz, erst später aus buntem Plastik.
Analog zum Plan, der festlegte, wann man die Waschküche benutzen konnte, gab es auch einen Plan für den Trockenboden. Einmal im Monat hatte meine Familie zwei bis drei Wasch- und Trockentage. Und vor dem Trocknen war der Boden zu fegen. Ich habe diese Tätigkeit, die meine Mutter mir gelegentlich zuwies, gehasst. Der Staub, der dabei aufgewirbelt wurde, haftete nicht nur an Haut und Haaren und Bekleidung, sondern setzte sich unweigerlich beim Atmen auch im Mund fest und ging mit dem Speichel eine ekelhafte Mischung ein.
Das Pendant zur Sahara über uns war der Nebelwald auf Borneo unter uns. Genauer: ganz unten im Kellergeschoss, in der Waschküche. Dort befanden sich: Zwei riesige, gräuliche Waschbecken aus Beton, in denen die Wäsche gespült werden konnte. Eine Quetschmangel zum Wringen der Wäsche. Vor allem aber die beeindruckende Waschmaschine – von einem Wassermotor angetrieben, ein System, das es, etwa von der Firma Miele, schon zur Zeit des 1. Weltkriegs gab.
Diese Maschine, die an die Wasserleitung angeschlossen werden musste, bestand aus einem hölzernen Bottich, der von Ferne eine gewisse Ähnlichkeit mit Waschzubern aufwies, so wie man sie später in dem einen oder anderen Italo-Western zu sehen bekam. Auf dem Deckel des Bottichs, der innen ein Drehkreuz aus vier Holzpaddeln hatte, saßen zwei Kolben, die durch den Druck des Wasser nach rechts und links bewegt wurden und diese Bewegung auf die Paddel übertrugen. Die Paddel wiederum zogen die Wäsche durch die im Bottich befindliche Lauge, so dass durch die Bewegung ein Wascheffekt eintrat.
Für die Lauge musste Wasser erhitzt werden, dessen Dampfwolken die Waschküche in feuchte Nebelschwaden zu hüllen pflegte.
Was hier zunächst so technisch klingt, war in der Alltagswirklichkeit eine mordsmäßige Maloche, wenn auch eine Erleichterung gegenüber der früheren Handwäsche. Die fertige Wäsche, die im Bottich nicht geschleudert wurde wie in heutigen Waschmaschinen, war durch das Gewicht des Wassers sauschwer und die Entnahme der Wäsche aus dem Bottich ging auf die Kräfte, vor allem aber wegen der gebückten Haltung bei der Entnahme ins Kreuz. Und die ganze Arbeit noch dazu in einem Raum mit hoher Luftfeuchtigkeit.
Diese Tätigkeit, die nahezu ausschließlich die Frauen erledigten, stand der Schwere mancher Fabrikarbeit in nichts nach. Um einen Teil des Wassers aus der Wäsche zu pressen, wurde diese dann durch Quetschmangel (auch Wringer genannt) gezogen, deren rotierende Rollen durch Handarbeit mittels einer Kurbel oder eines Drehrades in Gang gesetzt wurden. Die klatschnassen, wasserschweren Wäschestücke durch die Mangel zu ziehen, war ebenfalls eine Knochenarbeit.
War dieser Vorgang erledigt, wurde die Wäsche in einen Korb gelegt und zum Trockenboden transportiert. Bei uns bedeutete das also vom Keller über die vier Stockwerke des Hauses ins Dachgeschoss hinauf und vom mit Feuchtigkeit gesättigten Nebelwald der Waschküche in den Sahara-trockenen Staub und die Hitze des Dachbodens – eine Reise zwischen zwei Klimazonen in wenigen Minuten und über gut hundert Treppenstufen.
Eine Reise allerdings, der mit dem Aufkommen elektrischer Waschmaschinen wohl niemand nachgetrauert hat. Meine Mutter jedenfalls nicht!

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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