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Folge 12

Woran erkennt man, dass sich ein Zeitenwandel vollzogen hat? Dass man Teil einer gesellschaftlichen Veränderung geworden ist, dass man einen Paradigmenwechsel erlebt hat? Nicht an einem Austausch der Regierungskoalition, dem Aufkommen einer neuen und dem Verschwinden einer alten Partei und auch nicht an anderen Nachrichtensprechern der Tagesschau oder daran, dass man beim IPhone-Zählen nicht mehr bei 1 oder 2 ist , sondern schon bei der Modellreihe 7 oder 8 angekommen ist.

Die Antwort ist viel profaner! Man erkennt den Wandel daran, dass Friseurläden auf einmal „Kopfsalat“, „Der goldene Schnitt“, „Die Mähne“, „Die vier Haareszeiten“, „Lockenvilla“, „Haireinspaziert“ oder sogar „Kaiserschnitt“ heißen. Aus dem alten Friseurladen ist ein „hair-studio“ oder „Haar-Shop“ geworden, aus dem Handwerk des Haareschneidens ein Teil der Wellness- und Beauty-Industrie, aus Waschen, Schneiden und Legen ein Event.

Der Friseurladen meiner Kinder-und Jugendtage war nur ein paar hundert Schritte von unserem Wohnhaus entfernt. Ein Laden für Männer – kein Damensalon! Zwei Friseure arbeiteten dort, wetzten Rasiermesser an einem breiten Lederriemen scharf und produzierten Seifenschaum noch mit der Hand und nicht aus der Spraydose. Andererseits waren sie auch nicht besonders „gestylt“, hatten keine Tattoos, Piercings oder sonstige Zeichen der „body modification“. Und sie scharwenzelten auch nicht um einen mit der Frage herum, ob man einen Kaffee trinken wollte. Es war doch klar, dass man zu ihnen zum Haareschneiden oder auch Rasieren kam – zum Kaffeetrinken gab es schließlich Cafés, wo einem wiederum auch nicht die Haare geschnitten wurden.

Über dem Eingang zum Geschäft hing damals auch keine Neonreklame bzw. kein Plastikschild mit einem Namen mit semantischer Doppeldeutigkeit oder angestrengtem Sprachwitz, sondern ein Silberteller an einem Galgen aus Gusseisen. Natürlich war der Teller nicht wirklich aus Silber – aber er sah so aus. Und dieser Teller signalisierte: hier ist dein Friseur! Dieser Teller verwies auf das Handwerk und seine Geschichte, nämlich auf das , was der „Barbier“ ja auch tat, nämlich den Rasierschaum in einem Teller zu schlagen, und in früher Zeiten, als die späteren Friseure auch im Gesundheitswesen tätig waren, zum Beispiel Zähne zu ziehen oder kleine chirurgische Eingriffe vorzunehmen.

Das dafür notwendige Handwerkszeug (Zangen, Messer) fand auf dem Teller ebenso Platz wie der extrahierte Backenzahn und das Blut beim Aderlass. Im Mittelalter, als die Friseure auch Bader waren, bei denen man zu bestimmten Zeiten „baden“ konnte (also in einem Badezuber sitzen konnte), soll dieser Teller, der wie ein kleines Becken aussah, wohl auch dazu gedient haben, die Badezeit zu signalisieren. Hing der Teller also draußen am Laden – dann aber schnell ab in die Wanne!

Dieser Teller hing also noch über der Eingangstür bei meinem Friseur. Dafür gab es Innen aber keine Poster mit phantasievollen Herrenfrisuren im neusten Modetrend und erst recht keine Zeitschriften, in denen man sich darüber informieren konnte, was für den modernen Mann als Frisur angesagt war (laut der online-Ausgabe der Männer-Zeitschrift GQ ist für den Mann 2016 der neuste Trend „undone und halblang“, der die „Runway-Frisur“ des Jahres 2015 ablöst – verstehe das, wer will!). Da gab es so etwas wie einen Einheitshaarschnitt, von meinen Leidensgenossen dieser Zeit und auch mir gerne als „Pisspott-Schnitt“ verächtlich gemacht. Also: Nachttopf aufgesetzt, alles, was an Haaren darunter hervor sah, abgeschnitten, Nacken ausrasiert, Scheitel gezogen: FERTIG! Irgendwie sah man mit diesem Schnitt einerseits brav aus, aber andererseits auch immer ein wenig wie ein Hitler-Junge, der sich in die 50er Jahre gerettet hatte!

Das änderte sich aber im Laufe der 60er und erst recht dann in den 70er Jahren – der „Pisspott-Schnitt“ verschwand, denn die Haare wurden länger, der Besuch beim Friseur wurde nicht nur seltener, sondern überflüssig, an die Stelle des Hitler-Jungen trat der Mattenkönig, bebartet und mit langem Haar und manchmal auf dem Weg, wie John Lennon auszusehen.

Der silberne Teller des Friseurs ist genauso aus der Mode gekommen wie die lange Matte. Aber dafür heißen Friseur-Läden heute ja auch „Haarlekin“, „Haargenau“ oder (ach, herrjeh!) „Querkopf“.

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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