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FOLGE 14

Ende der 50er Jahre nahm mich mein Vater gelegentlich am Samstag- oder Sonntagvormittag in die Vereinsgaststätte mit, die unmittelbar an der Glückauf-Kampfbahn lag (und heute noch liegt). Während meine Mutter zu Hause den samstäglichen Eintopf oder den sonntäglichen Braten zubereitete, ging es zum Skat und zum Fachsimpeln in die damals noch von Zigaretten- und Zigarrenqualm geschwängerten Gastwirtschaftsräume.
Da saßen um den Stammtisch dann Männer wie der ewig Zigarre rauchende Ernst Kuzorra, sein Schwager Fritz Szepan und andere (ehemalige) Fußballer, deren Status als Legenden und Begründer eines Mythos mir überhaupt nicht klar war und die ich eigentlich nur als „Onkel Fritz“ oder „Onkel Ernst“ kannte.
Die Skatkarten fielen Runde um Runde, Pils und „Kurze“ wurden vernichtet, ab und zu knallte auch schon ´mal ein Knobelbecher mit seinen Würfeln auf den Tisch.
Und ich langweilte mich – jedenfalls meistens schon nach kurzer Zeit. Oft hatte „Onkel Fritz“ dann Erbarmen und sagte: „Hol ´dir ma´ ´ne Schokolade!“
Gesagt – getan! Und der Wirt oder wer auch immer gerade hinter der Theke stand, reichte sie mir herüber: Eine Tafel Novesia Goldnuss.
Damals war Novesia noch eine eigenständige Firma und neben den Goldnuss-Pärchen war die Goldnuss-Tafel das bekannteste Produkt (das heute unter dem Markennamen Trumpf noch zu kaufen ist).
Der Name Novesia geht auf das in dem Neusser Stadtteil Grimlinghausen vermutete römische Legionärslager Novaesium zurück. In Neuss gründete 1860 Peter Ferdinand Feldhaus eine Schokoladenfabrik – und aus dieser Fabrik stammte ab 1920 diese ganz besondere Tafel Schokolade, die sich schon durch die Verpackung von anderen Schokoladenmarken abhob.
Sie war nicht nur mit einer feinen Goldkordel verschnürt, die auf der Vorderseite zu einem kleinen Schleifchen geknüpft war, sondern hatte auf der Rückseite ein Fenster aus Cellophan-Papier, das den Blick auf die Schokolade frei gab. Und hierbei natürlich vor allem auf das Besondere dieser Schokolade – die ganzen Haselnüsse, von denen es garantiert 27, zeitweilig sogar 32 pro Tafel geben sollte.
Eine Goldkordel – ein Sichtfenster – ganze Haselnüsse in feiner Vollmilchschokolade: das war für einen kleinen Buben wie mich natürlich Luxus pur! Ein Luxus, der mir nebst der Limo, die es zumeist noch dazu gab, einen Vormittag versüßen konnte und die Zeit schneller vorüber gehen ließ.
Mit Schokolade und Limonade abgefüllt kam ich nach einem solchen Vormittag dann an den häuslichen Mittagstisch und machte angesichts des Eintopfs und des nicht vorhandenen Hungers lange Zähne – zur Verwunderung und zum Ärger meiner Mutter. Über den Grund für meine Unlust auf das Mittagessen schwiegen mein Vater und ich in einem unausgesprochenen Pakt. Er hatte Ruhe für sein Kartenkloppen im Kreise der Fußballer, ich hatte meinen Schokoladenluxus – und die Goldkordel noch in der Tasche.

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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