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„Ich muss versuchen, ob man mich auf meiner alten Kanzel, auf dem Theater wenigstens, noch ungestört will predigen lassen.“ (Lessing an Elise Reimarus, 6.9.1778)

Dieser Satz Lessings verweist einerseits auf sein dramatisches Gedicht „Nathan der Weise“ selbst und andererseits auf dessen Vor- bzw. Entstehungsgeschichte. Denn Lessings „Nathan“ steht in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner aufklärerischen Religionskritik und dem ihm gegenüber erlassenen Publikationsverbot.

Lessing hatte als Bibliothekar in Wolfenbüttel 1774  die sogenannten „Fragmente“ des Hamburger Orientalisten Herman Samuel Reimarus veröffentlicht, in denen Reimarus sich mit zentralen Aspekten der Religionskritik im 18.Jahrhundert beschäftigt, zu deren  Kern die Auseinandersetzung über den Gegensatz von Vernunft und Glauben gehört. Im Mittelpunkt steht dabei der Wahrheitsanspruch der christlichen Offenbarungsauffassung. Auf Lessings Veröffentlichungen reagierte der Hamburger Hauptpastor Goeze mit mehreren Streitschriften, in denen er Lessing angriff, der wiederum die Veröffentlichungen  verteidigte und gegen Goeze polemisierte.

Im August 1778 untersagte Herzog Karl von Braunschweig Lessing weitere Publikationen „in Religionssachen“ sowohl in Braunschweig selbst „als auswärts“ und sowohl unter Lessings eigenem Namen als auch unter einem Pseudonym. Um dieses Publikationsverbot zu umgehen, will Lessing nun, wie er an Elise Reimarus schreibt, wieder auf seiner „alten Kanzel“ predigen, also: auf dem Theater. Lessing greift auf  frühere theatralische Versuche (Entwürfe, Skizzen) zurück und erarbeitet seinen „Nathan“, in dem er seine Auffassungen zu den Offenbarungsreligionen Judentum, Christentum und Islam dramatisch gestaltet. Den Anhängern der drei Religionen gesteht Lessing (in der von Nathan vorgetragenen „Ringparabel“) zu, dass sie die Offenbarungen ihrer jeweiligen Religion für die „wahre“ und „richtige“ halten, weil sie ja in deren Geiste und mit den jeweiligen Glaubensgrundsätzen erzogen wurden  und aufgewachsen sind und weil die Religionen auf Geschichte und Überlieferung gebaut sind; Lessing verweist aber zugleich auf den mangelnden Beweischarakter einer Textexegese und fordert stattdessen (durch den Mund Nathans), die Religionen mögen ihre Kraft dadurch unter Beweis stellen, dass sie sich in der Praxis als gut für die Menschen erweisen:

Wohlan!
Es eifre jeder seiner unbestochnen
Von Vorurteilen freien Liebe nach!
(Nathan, III/7)

Lessing unterscheidet, wie schon in der Auseinandersetzung mit Goeze, zwischen „Geschichtswahrheiten“ (also der Wahrheit der Überlieferungen) und den „ notwendigen Vernunftswahrheiten“ (Lessing, Über den Beweis des Geistes und der Kraft, 1777)

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Religionskritik war ein zentraler Bestandteil der Epoche der Aufklärung. Lessings Begriff der „Vernunftstwahrheiten“ verweist deutlich auf eine zentrale Begrifflichkeit (Vernunft) der Aufklärung, die alles dem Verstand unterwerfen will. („Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, heißt es bei Kant!). Dabei stand in der Phase der Aufklärung die Vernunft als Kategorie dem Glauben teilweise diametral und ablehnend gegenüber, teilweise wird aber, so auch bei Lessing, die (christliche) Überlieferung durchaus als „wahr“ anerkannt (nicht etwa als Lüge und Betrug verurteilt), aber nicht als „Vernunftswahrheit“ gesehen, also als eine Art  Richtschnur des „gesunden Menschenverstandes“, dessen Gebrauch Kant anmahnt.

Die aufklärerische Religionskritik hat Folgen gezeitigt – auch in den christlichen Konfessionen selbst: genannt werden sollen hier das Eingehen des Toleranzgedankens (ebenfalls ein zentraler Aspekt der Aufklärung) in den Glauben, also eine Absage an den Absolutheitsanspruch der jeweiligen Religion, der Versuch einer intellektuellen Begründung des Glaubens und eine durchaus historisierend-textkritische Auslegung der Bibel, die sich vom dogmatischen Festhalten am Wortlaut der biblischen Texte löst – dies bei den evangelisch-lutherischen Christen traditionell stärker als in der katholischen Kirche.

In ihrem Beitrag „Mit den Mutigen“ in der ZEIT Nr. 14 vom 28.März 2018(S.1) schreibt Evelyn Finger. „Jede Religion hat ein totalitäres Potenzial, weil sie auf einer Prämisse beruht: Gott ist. Den Glauben des anderen ertragen zu lernen ist deshalb eine der größten Herausforderungen, die es gibt. Darin besteht die Leistung westlicher Aufklärer und Theologen: dass sie gezeigt haben, wie man die Wahrheiten anderer voll akzeptiert, ohne die eigene Wahrheit zu relativieren. Religionsfreiheit braucht nicht nur zähneknirschende Toleranz, sondern Respekt; nicht nur Wissen, sondern Demut; nicht nur Religionsfrieden, sondern Religionskritik.“

Wie wahr! Wie schlicht! Vor allem aber: Wie halbherzig!

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Halbherzig, weil Evelyn Finger als große Relativiererin agiert. Sie erwähnt, dass in Deutschland in wachsendem Maße jüdische Kinder und Kinder christlichen Glaubens von ihren muslimischen Mitschülern beschimpft und bedroht und sogar körperlich angegangen werden, natürlich nicht ohne zu ergänzen, dass sich auch muslimische Kinder Anfeindungen ausgesetzt sehen.  Sie wirft aber nicht die Frage auf, welche der Religionen – in Wort und Praxis (siehe oben Lessing!), in täglicher Praxis – nicht gerade an der Spitze steht,  wenn es um die von ihr eingeforderten Kategorien  Respekt und Demut  und um Religionskritik geht, denn sie will sich schließlich nicht den Vorwurf der „Islamfeindlichkeit“ einhandeln.

Der Islam ist nicht durch eine Epoche der Aufklärung gegangen. Textkritik ist ihm deshalb fremd. Der Koran gilt als unmittelbares Wort Gottes, sein Ursprung liegt also in Gott (Allah) selbst, vermittelt durch Mohammed. Er ist, so die Auffassung des Islam, anders als die Texte der Bibel in der Auffassung der Christen, nicht von Menschen erschaffen, sondern unmittelbares Wort Allahs. Und weil der Koran unmittelbares Wort Gottes ist, ist eine Kritik daran von vornherein sakrosankt. Auch sein Wortlaut darf deshalb nicht verändert werden. Schon eine Übersetzung aus dem Arabischen wird deshalb teilweise als heikel angesehen.

Diese Grundauffassung ist keine akademische Frage, sondern hat   Konsequenzen, die nach Auffassung einiger religiöser Führer des Islam –durchaus auf mörderische Art und Weise – in das Leben von Menschen eingreifen können. Hierzu nur zwei Beispiele:

Der iranische Staatschef und geistige Führer Ajatollah Chomeini verhängte am 14.Februar 1989 eine Fatwa gegenüber dem Schriftsteller Salman Rushdie wegen seines literarischen Textes „Die satanischen Verse“. Begründet wurde dieses Todesurteil gegenüber Rushdie mit der Behauptung, sein Werk sei gegen den Islam, den Koran und den Propheten Mohammed gerichtet. Jeder Muslim auf der Welt war nach dieser Fatwa aufgefordert, das von Chomeini ausgesprochene Todesurteil zu vollstrecken. Das von der iranischen Stiftung ausgesetzte Kopfgeld von zunächst einer Million US-Dollar wurde zuletzt 2016 noch einmal erhöht und beläuft sich mittlerweile auf fast 4 Millionen Dollar. Rushdie lebte über Jahre im Untergrund und unter Polizeischutz.

Am 30.9.2005 veröffentlichte die dänische Tageszeitung Jyllands-Posten eine Serie von zwölf Karikaturen, die Mohammed und den Islam zum Thema hatten. In der Folge dieser und weiterer Veröffentlichungen der Karikaturen, so etwa in Ägypten, kam es weltweit zu gewalttätigen Ausschreitungen von Muslimen, die sich und ihre Religion durch die satirische Auseinandersetzung mit dem Propheten beleidigt sahen. Im Zuge dieser Ereignisse kam es auch zu politischen Auseinandersetzungen zwischen Dänemark und Staaten der islamischen Welt, in deren Mittelpunkt die Kunst- und Meinungsfreiheit standen.

Die literarische, künstlerische, satirische und kritische Auseinandersetzung mit der christlichen Religion ist für uns eine Selbstverständlichkeit – man denke etwa an Romane Heinrich Bölls, in denen er sich mit der katholischen Kirche auseinandersetzt („Ansichten eines Clowns“). Kein Kirchenführer käme heute nur annähernd auf den Gedanken, einen Schriftsteller, Musiker oder darstellenden Künstler zum Tode verurteilen zu wollen, weil er sich mit christlich-religiösen Auffassungen, Institutionen  oder Persönlichkeiten auseinandersetzt. Jeder Papst muss heute Karikaturen über sich ertragen – und erträgt sie. Dies ist eine Konsequenz aus der Aufklärung, die mit den finstersten Zeiten des Christentums, etwa denen der „Heiligen Inquisition“, aufgeräumt hat und Religionskritik als selbstverständlichen Teil einer offenen Gesellschaft durchgesetzt hat. Und mit dieser Religionskritik geht die Entwicklung der Religionsfreiheit im Sinne der Freiheit des Einzelnen, über seinen Glauben zu entscheiden, einher.

Im Augsburger Religionsfrieden (1555) wurde festgelegt, dass die Lutheraner nicht mehr wegen Häresie verfolgt werden sollen. Dies war das Anerkenntnis, dass das Heilige Römische Reich deutscher Nation nicht mehr als einheitliches Glaubensgebiet existierte. Hier wurde allerdings auch noch festgelegt, dass der jeweilige Landesherr über die Religion in seinem Staatsgebiet bestimmen konnte. Bekannt geworden ist diese Regelung durch die Formulierung „cuius regio, eius religio“, also etwa: „Wer das Land regiert, bestimmt über die Religion“, wobei den Untertanen, die die Religion des Fürsten nicht annehmen wollten, das Recht auf Auswanderung zugestanden wurde. Der Weg in die Glaubensfreiheit und damit zugleich ins Private, in das der Staat sich nicht mehr einmischt, findet seinen vielleicht bekanntesten Ausdruck in einer Formulierung Friedrichs II.:

„Die Religionen müssen alle Tolleriret werden und Mus der der Fiscal nuhr das auge darauf haben, das keine der anderen abruch Tuhe, den hier mus ein jeder nach Seiner Fasson Selich werden.“ (Rand-Verfügung des Königs zum Immediat-Bericht des Geistlichen Departements. Berlin 1740 Mai 22: Katholische Schulen und Proselytenmacherei – In: Max Lehmann: Preussen und die katholische Kirche seit 1640. Nach den Acten des Geheimen Staatsarchives. 2. Theil. 1740-1747. Leipzig: Hirzel, 1881. S. 4)

***

Der Mangel an kritischer Auseinandersetzung mit dem Islam kann in zwei Richtungen betrachtet werden. Zunächst innerhalb des Islam und seiner Strömungen selbst. Es ist ja sicherlich kein Zufall, dass islamkritische Geister, vor allem wenn sie dem islamischen Glauben angehören oder angehört haben oder aus einem muslimisch bestimmten Land kommen, sich auch heute und hier (bei grundgesetzlich garantierter Glaubensfreiheit!) Anfeindungen durch die eigenen Glaubensbrüder(und –schwestern) ausgesetzt sehen. Prominentestes Beispiel ist wohl der Autor und Publizist Hamed Abdel-Samad, der wegen seiner islamkritischen Publikationen („Der Untergang der islamischen Welt“, „Der islamische Faschismus“) Morddrohungen erhalten hat und unter Polizeischutz leben muss. Dieses Schicksal teilt mit ihm Seyran Ates, die in Berlin eine „Reformmoschee“ eröffnet hat, in der im offenen geistigen Austausch gebetet, aber auch über Glaubensfragen diskutiert werden kann. Schon allein die Tatsache, dass eine Frau sich die Freiheit nimmt, eine Moschee eröffnen und leiten zu können, löste in muslimischen Kreisen Empörung aus und führte zu Bedrohungen. Religionskritik im Sinne einer historisch-kritischen Betrachtung der eigenen Grundlagen, Texte und Praktiken ist dem Islam fremd, weil er nicht durch eine Epoche gegangen ist, der der europäischen Aufklärung gleichkommt.

Die zweite Seite ist aber der Umgang mit dem Islam durch öffentliche Institutionen, durch die christlichen Kirchen, durch die politische Klasse und durch einen großen Teil der Medien. Hier scheint es so zu sein, dass Kritik am Islam nicht gewünscht wird. Jedenfalls wird Islamkritik nicht offensiv befördert, sondern schnell mit dem Begriff „Islamophobie“ belegt, also in den Bezirk einer irrationalen persönlich-individuellen Angst vor dem Islam verwiesen. Das, was im Christentum seit der Aufklärung gängige Praxis ist, wird im Falle des Islam zu einer individuellen Einstellung mit „Krankheitscharakter“  verbogen und als gesellschaftlich unproduktiv, ja sogar schädlich eingestuft.

Dazu gehört auch die Gedankenfigur der Trennung von Islam und Islamismus, mit der wir nach jedem Attentat, nach jedem Anschlag, nach jeder kriminellen Handlung eines Täters mit islamischem Glaubenshintergrund belehrt werden, um ja nicht auf den Gedanken zu kommen, die Ursache für eine Handlung könne in der Glaubensauffassung des Täters liegen, wobei zugleich von offizieller Seite immer betont wird, es handele sich um Einzeltäter bzw. eine Einzeltat. Diese künstliche Trennung von Islam und Islamismus kommt, so hat es H. Broder einmal formuliert, dem Versuch gleich zu behaupten, Alkoholismus habe nichts mit Alkohol zu tun.

Bezeichnend ist auch, dass auf politischer Ebene eher die Nähe zu konservativen Islamverbänden gesucht wird, liberale Anhänger des Islam und Islamkritiker aber außen vorgelassen werden.So formulierte Ahmed Mansour im Jahre 2016 im Kontext der sog. „Islamkonferenzen“ folgende kritische Aspekte:

„Die Entwicklung der letzten drei Jahren gefällt mir nicht. Alle muslimischen Einzelpersonen sind ausgeladen worden. Geblieben sind fast nur reaktionäre, konservative Verbände, die über ihre Themen reden und andere nicht zulassen. Salafismus, die Radikalisierung von Jugendlichen, Frauenrechte – alles, was problembelastet ist, wird vermieden. Wer beispielsweise die in muslimischen Familien verbreitete Angstpädagogik kritisiert oder dass den Texten blind gefolgt wird, ohne sie in ihren historischen und lokalen Kontext zu stellen, wird als islamophob diffamiert und mundtot gemacht.“ (zitiert nach ZEIT ONLINE v. 27.September 2016)

Wenn Mansour darauf verweist, dass im Islam „den Texten blind gefolgt wird, ohne sie in ihren historischen und lokalen Kontext zu stellen“, dann fordert er implizit nichts anderes ein als eine „Reform“ des Islam, wie sie der Glaube der Christen durch die Aufklärung und ihre religionskritischen Ansätze erfahren hat. Nur durch diese religionskritische Betrachtung des christlichen Glaubens im Kontext der Aufklärung konnte die christliche Religion ihren Platz in heutigen  demokratisch verfassten Gesellschaften einnehmen. Eine solche Entwicklung müsste auch der Islam durchlaufen. Tut er dies nicht, kann er schon allein deshalb  nicht „zu Deutschland gehören“, weil Religionskritik als Teil der Aufklärung ein Fundament europäischen Denkens ist.

 

 

 

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Aufklärung, literarische, künstlerische, satirische und kritische Auseinandersetzung mit der islamischen Religion scheint nicht auf der Agenda der Muslime in der SPD zu stehen. Das erklärt vielleicht die Nähe der SPD zur Ditib?
https://akmuslime.spd.de/wir-ueber-uns/
Dafür wird ein Ende der Debatte gefordert, weil viel zu lange schon „debattiert“ wurde. Nun sollen Probleme praktisch gelöst werden. Sagt die SPD. Ich bin gespannt wie in nächster Zeit die Inhalte und Ergebnisse der Debatte dem Publikum vermittelt werden und welche „Probleme“ wie „praktisch“ gelöst werden.
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-03/islam-debatte-katarina-barley-franziska-giffey-horst-seehofer

Ich hoffe nicht mit weiteren Pseudodebatten und Lockrückrufen an die AfD Wähler.

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Som Jo Tien

„Wenn in dem Artikel die Aufklärung als Maßstab an den Islam in Deutschland und die Frage seiner Zugehörigkeit angelegt wird, so fehlen mir in der dargelegten Hinführung auf beiden Seiten jedoch sehr viele Aspekte in der geschichtlichen Betrachtung von Christentum und Islam, die sich makro- und kultursoziologisch als evident erweisen.

An dieser Stelle will ich exemplarisch Thomas von Aquin und die Scholastik des Aristoteles auf der einen Seite nennen; auf der anderen Seite den Streit zwischen Schiiten und Sunniten seit dem 7. Jahrhundert um die zentrale Bedeutung des Ali – neben/über Mohammed.

Die Darlegung in den Fragmenten, zum Beispiel die Bibelkritik Reimarus im vierten Fragment zu Ex 14 (Teilung des Meeres)¹, folgt schließlich einer aristotelischen Scholastik. Die Aufklärung selbst ist historisch betrachtet ein langer Entwicklungsprozess, der nicht ohne die Kritik von Thomas von Aquin an Plato denkbar wäre.

Wenn in Deutschland viele Schiiten und Aleviten (Schiat-Ali) leben, so ist diese Frage ebenso bedeutsam, wie die Frage, ob und wie das Christentum in der Nachfolge Jesu oder Paulus in die moderne Gesellschaft seit der Zweischwerter-Theorie weiter hinein agiert bzw. regiert.

Ob das Grundgesetz aktuell, ohne die ausstehende Reform der Staatsleistungen gegenüber den Religionsgemeinschaften (Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 WRV), einer in Deutschland erklärtermaßen als ideal dargestellten praktizierten Aufklärung genügt, ist angesichts des fehlenden Willens der Politik sich dieses Themas nur im Ansatz zu nähern, doch mehr als zweifelhaft. Schaut man sich die Arbeitswelt von Diakonie und Caritas und ihr eigenes rückständiges Arbeitsrecht an, ist es evident, dass die Aufklärung für und in der Moderne nicht die nötigen weiteren gesellschaftlichen Konsequenzen hervorbrachte, die man von ihr erwarten muss, wenn sie als Maßstab taugen soll.

Insofern möchte ich auf den Maßstab rekurrieren, der mit Nathan auf den Einzelnen abstellt. Wenn Gott tot ist, wie Nietzsche konstatierte, ist der Einzelne gefordert, die Liebe und das Zutrauen in sein Selbst zu entwickeln, um ihn zu dem zu machen, was er sein könnte. Die Erkenntnis dazu wird sich im Widerstreit entwickeln; für Entwicklung braucht es ein Gegenüber.

In diesem Sinne ist der aktuelle Streit, ob der Islam oder die Muslime zu Deutschland gehören, tatsächlich die Zeit der Aufklärung, die hier und jetzt stattfindet, und die erforderlich ist, um etwas Stück für Stück über die Zeiten und Kulturunterschiede hinweg voranzubringen.

Somit möchte ich mich zum guten Schluss der Meinung von Aladin El-Mafaalani anschließen, wenn er sagt:

„Wenn jetzt der Heimatminister, der einer der konservativsten Menschen in Deutschland ist, sagt, die bei uns lebenden Muslime gehören selbstverständlich zu Deutschland, nur der Islam nicht, ist das ein Riesenfortschritt.“ Hätte ihm jemand in den 90er-Jahren gesagt, dass ein CSU-Politiker so etwas einmal sagen würde, wäre El-Mafaalani mehr als überrascht gewesen.

Er bedauert, dass der Diskurs sich verschlechtert habe, dass extreme Positionen offensiver und lauter vorgetragen würden. Aber er findet die Streitfrage, ob der Islam zu Deutschland gehöre oder nicht, wichtig. „Dieser Streit existiert, weil man sich nähergekommen ist. Ich finde, es ist kein Zeichen von Spaltung.“ Die Frage sei ein Befund. Der Konflikt sei nun mal da, das müsse zu Reibung führen. Das sei ein Fortschritt. „Wenn sich Muslime über den Satz aufregen, dass der Islam nicht zu Deutschland gehört, dann zeigen sie doch, dass sie sich zugehörig fühlen“, sagt El-Mafaalani.
Er vermutet, dass die meisten Leute das wahrscheinlich anders sehen, aber er möchte auch nicht als Verklärer missverstanden werden. Das sei „keine positive, sondern eine konstruktive Sicht“, betont er.“ ²

Quellen:
¹ https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/reimarus-hermann-samuel/ch/e1101b812c3e63f44f11832ab0210773/#h2
² https://www.welt.de/print/die_welt/politik/article175044995/Seehofers-Aussage-ist-ein-Riesenfortschritt.html

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Som Jo Tien

Zustimmung durch Ablehnung!? Gleichwohl: Gerne!

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