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Das war ja mal wieder ein Schlag ins Kontor. Da war die Stadt gerade auf dem Sprung, zu Metropolen wie London, Hamburg und Winsen an der Lunse aufzuschließen, und dann kommt dieses ZDF-Ranking dazwischen, bei dem Gelsenkirchen auf Platz 401 von 401 möglichen Plätzen landet. Fragestellung der Studie, durchgeführt von der Prognos AG: Wo lebt es sich am besten?

Die Städte und Kreise wurden nach drei Kategorien hin untersucht: Arbeit und Wohnen, Gesundheit und Sicherheit, Freizeit und Natur. Diese drei Kategorien wurden nach insgesamt 53 Indikatoren bewertet, die dann gewichtet wurden. Die Formel dazu findest du hier: https://deutschland-studie.zdf.de/about

Alles also hochwissenschaftlich und objektiv, so dass wir jetzt wissen: In Gelsenkirchen lebt es sich nicht nur schlecht, sondern geradezu unterirdisch. Oder?

Klar: wir liegen ganz weit vorne bei Arbeitslosigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit, Hartz4-Empfängern, Kinderarmut, Schülern ohne Abschluss, Rauchern, Menschen mit Ganzkörpertapete, Blech im Gesicht und Ringen in allen Öffnungen, die der menschliche Körper zur Verschönerung bereitstellt. Wir haben kaum Mittelgebirge mit Auen und plätschernden Bachläufern, geschweige denn für Alpinisten geeignete Erhebungen. Hier springt kaum mal ein Reh aus dem Unterholz hervor – und selbst Hase und Igel weigern sich, sich hier „Gute-Nacht“ zu sagen, von Kolibri und Leguan mal ganz zu schweigen. Aber:

die Frage, wie gut es sich hier leben lässt, ist nicht rein objektiv zu beantworten, sondern auch eine Frage des Standpunktes, der Perspektive.

Wer Schalke liebt und lebt, wird nicht mit München (Platz 1) tauschen wollen. Wer eine Dirndl-Allergie hat, wird München womöglich zum Kotzen finden. Wer in seinem Sozialbau-Wohnungsblock König ist, wird die Königsallee nicht mit Begeisterung aufsuchen wollen. Und wer sowieso eine Raucherlunge hat, wird den Feinstaub an der Kurt-Schuhmacher-Straße nicht als Belastung empfinden, sondern als Nuance des Biotops, in dem er lebt.

Ich z.B., ich habe heute eine Fee gesehen. Sie fuhr kurzzeitig auf dem Fahrrad vor mir her. Ein Wesen, so zartgliedrig, so apart gebaut, mit einer rein-weißen Haut wie aus Porzellan, in  schlichtes Schwarz gewandet und mit schwarzem Kurzhaar, in einem eleganten und vollendeten Rhythmus sich auf dem Fahrrad wiegend, dass ich beinahe geglaubt hätte, ich sei schon im Elysium, nicht aber auf der Zeppelinallee.

Ich z.B., ich vermisse die Haushaltswaren-Fachgeschäfte nicht, die es auf der Bahnhofstraße einstmals gab (Preute, WMF), weil man sich in meinem Alter nichts mehr für Küche und Keller kauft.

Ich muss meinen ökologischen Fußabdruck zum Schaden der Natur nicht vergrößern, indem ich in fremde Länder jette. Ich habe diese Länder vor der Haustür, ihre Sprachen umschwirren mich, wenn ich über die Bahnhofstraße gehe – ein Refugium, in dem ich nicht von Deutschen belästigt werde, die sich ja zum Glück alle auf Malle und in Griechenland aufhalten und sich dort mit vom Saufen komatösen Engländern um die Plätze am Pool streiten.

Habe ich mal Rückenschmerzen, setze ich mich ins Auto und fahre eine x-beliebige Straße in Ge hin und her – die Massagewirkung der Schlaglöcher und Risse im Asphalt kann kein Masseur mit seinen Händen toppen.

Sitze ich im Musiktheater, natürlich in einer der hinteren Reihen, blicke ich über ein Meer von Silberpudeln zur Bühne und fühle: Hier bin ich in meiner Altersklasse, hier weiß man , wie man  Rollatoren richtig einparkt, hier kennt man die Tricks, um orthopädische Stützstrümpfe so hochzuziehen, dass sie nicht kneifen.

Und hier kommt man mit Menschen ins Gespräch, auf die es wirklich ankommt. So wie ich neulich, als ich als Dritter in eine Zweier-Gesprächsrunde kam und so einen Bestatter kennenlernte.

Mit dem ich am Mittwoch dieser Woche  verabredet bin, um ein Erstgespräch über meinen Bestattungswunsch zu führen.

Wenn das keine Lebensqualität ist!

 

 

 

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Von Bernd Matzkowski

geb. 1952, lebt in GE, nach seiner Pensionierung weiter in anderen Bereichen als Lehrer aktiv

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Heinz Niski

Gelsenkirchen, die Stadt der 150 000 Rollatoren und orthopädischen Strümpfe sowie 100 000 Verlorenen aus 180 Nationen. Nicht zu vergessen den Moldenhauer, der sein Grab auf dem Ostfriedhof schon seit Jahrzehnten besucht und pflegt und Zwiesprache mit sich dort hält.
Welch grandiose Metapher.

Moldenhauers Grab

Moldenhauers Grab

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Anonym

?Saujuuut!!!!??

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