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Heute stolperte ich zufällig über ein Projekt namens „Metropolengarten auf Dahlbusch“ das sich unter Zuhilfenahme von vielen mehr oder weniger bekannten Künstlern, mehr oder weniger bekannten Politikern, mehr oder weniger engagierter Zivilgesellschaft, vor allem aber mit viel Namedropping und bunten Stickern von „Competence-Partnern“ (warum muss ich dabei an Inkontinenz denken?) zum Ziel gesetzt hat, ein etwas verwahrlostes Gewächshaus in einem Hinterhof in Gelsenkirchen Rotthausen wieder in Stand zu setzen.

Dies mit dem Mittel eines „Querbeet-Kulturfestivals“ und freundlicher (wohl nicht nur ideeller) Unterstützung aus Politik, Verwaltung und Lokaler-Hochfinanz.

Das alles weckte wehmütige Erinnerungen. Zum einen an die Partei der institutionalisierten Revolution in Mexiko (PRI),   die mich vor Ort mit einem noch ausgeklügelteren System der Dauerherrschaft einer Partei überraschte, als ich es bis dahin von der KPDSU oder der Gelsenkirchener Sozialdemokratie kannte.

Zum anderen gedachte ich Robert Hartmann, dem stattlichen Grandseigneur, Lebemann, Dandy, weiße Hosen-Halstuch-Tragenden blauäugig blitzenden Rauschebart… der sich nicht scheute, Damen durch Klavierspiel und Rezitationen verführend zu umwerben.

Oder jour fixe abzuhalten, ohne mich jemals dazu eingeladen zu haben. Ich habe ihn trotzdem in Trauer zu Grabe getragen. Nebenbei war das meine erste jüdische Beerdigung.

Warum aber erwähne ich ihn?

Weil er das Gebäude, in dessen Hinterhof nun das Gewächshaus gerrettet werden soll, durch Pacht vor dem Verfall schützte.

Ohne Name-Dropping und Geld aus welchen öffentlichen Quellen auch immer.

Und weil er den einen oder anderen Film gemacht hat, für den er von so genannten Lokal-Patrioten ordentlich Dresche bekam.

Wegen „Nestbeschmutzung“ – also der üblichen Geschichte, dass nicht der Verursacher in Haftung genommen wird, sondern der Überbringer der schlechten Nachricht.

Mir scheint, dass sich bis heute nichts geändert hat.

Wer keine Angst hat vor „entschleunigten“ Filmen mit „altbackener“ Sprache, sollte sich Robert Hartmanns Liebeserklärung an die Stadt Essen (Essen zu durchqueren)  und die „Kleinen Leute von der Straße“ durchaus mal anschauen. Und dabei im Hinterkopf behalten, dass er von der Politik dafür geschmäht wurde und er durchaus verletzt war dadurch.

Er schrieb dazu der NRZ:

Einem Autor, der fast täglich öffentlich beschimpft wird, muß es wohl gestattet sein, sich dazu zu äußern.
Wer schimpft denn da am lautesten? Es sind die Politiker, die „Spitzen der Stadt“, die in meinem Film einen „Schmutzkübel“, ein „Machwerk“, ein „verfälschendes Greuelgemälde“ und sogar „eine Brunnenvergiftung“ sehen.
Aus welchem Giftschrank, so frage ich mich, stammen denn diese Begriffe?
Und da ist von „Beleidigung“ und „absichtlicher Diffamierung“ die Rede. Als würde mit solchen Formulierungen nicht auch ein Autor diffamiert und all diejenigen, Bürger und Betroffene, die in seinem Film zu Wort kommen.
Lügen sie denn? Ist der Unmut der Studenten über ihre Uni oder die Luftverpestung in Karnap eine Grille des Autors?
Haben die alten Leute den Gestank in ihrer Nase erfunden? Ist das Reizwort „Umweltsaustall Emscherbruch“ etwa meine Erfindung?
Nein, da wird ein Autor „kriminalisiert“. Da beweist eine Stadt, wie schlecht sie Kritik erträgt – obwohl sie es doch gelernt haben müsste.
Aber nicht der rüde Wahlkämpfer-Jargon hat mich enttäuscht. So etwas war schließlich zu erwarten. Was mich so traurig stimmt, sind die Reaktionen der Bewohner des Essener Nordens und insbesondere Karnaps. Einem „Täter“ wird gewöhnlich ein Motiv unterstellt. Welches Motiv hätte ich denn, den Norden zu „beschmutzen“, wo ich selbst den größten Teil meines Lebens verbracht habe? Ist in diesem Film nicht sichtbar geworden, auf wessen Seite der Autor eigentlich steht? Haben die Karnaper denn wirklich nicht begriffen, daß seine „Parteilichkeit“ gerade für den Norden und seine Menschen, gleich ob Türken oder Deutsche, zum Ausdruck kommt?
Ich glaube hier haben sich die Betroffenen genau von der falschen Seite aufwiegeln lassen. Doch das werden sie selbst noch früh genug einsehen (müssen).

Die Zeit schrieb 1987 über ihn:

Er fand seine Themen im Ruhrgebiet
Gelsenkirchen
Er sprach nie viel über sich; und wenn er in seinen Filmen versehentlich mal kurz zu sehen war, zürnte er dem Kameramann. Robert Hartmann hatte eine für Journalisten untypische Eigenschaft: Er drängte sich nicht in den Vordergrund. So blieb er einem größeren Publikum wohl eher unbekannt, obwohl in manchen Jahren bis zu fünf Dokumentationsfilme von ihm im Abendprogramm von ARD und ZDF zu sehen waren.
Die Menschen um ihn herum, die sogenannten kleinen Leute, interessierten ihn. Er nahm sie ernst, konnte ihnen stundenlang zuhören. So gelangen ihm einfühlsame Porträts, etwa über den kommunistischen Bergarbeiter und einstigen Widerstandskämpfer Albert Stasch aus Essen-Katernberg. Meist in Großaufnahme und mit knappen Kommentaren führte er seine Protagonisten vor, ohne daß diese sich vorgeführt fühlten.
Robert Hartmann suchte seine Themen dort, wo er lebte: im Ruhrgebiet.. Hierhin, in den Essener Stadtteil Altenessen, war er als Siebenjähriger mit seiner Mutter aus Prag gekommen. Sein Vater, ein Jude, hatte in die USA emigrieren müssen. Nach dem Abitur arbeitete Robert Hartmann in Essen bei einer Zeitung und wechselte später zum Film.
Für seine Dokumentationen erntete er stets Kritikerlob, zu Hause wurde er jedoch häufig angefeindet. Als etwa 1983 im WDR sein zweiteiliges Porträt der Stadt Essen gezeigt wurde, hagelte  es Proteste bis hin zur Morddrohung. Jahrelange Bemühungen um ein besseres Ruhrgebiet-Image habe dieser Film zunichte gemacht, warf man ihm vor.
In den letzten Jahren wirkte Hartmann fast nur noch in der DDR. So porträtierte er etwa für den WDR Rostock oder den Ost-Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Für das ZDF produzierte er eine Serie über ehemalige jüdische Zentren in Europa. Sein letztes Werk, ein Film über das „Traumschiff“, das nun als Erholungsdampfer für DDR-Bürger dient, konnte der Filmautor nicht mehr beenden: Am Neujahrstag starb Robert Hartmann im Alter von 47 Jahren in seinem Wohnort Gelsenkirchen an den Folgen eines Herzinfarkts. R. K.

2013 schrieb die WAZ noch etwas Rückblickend über den „Aufruhr im Revier“ – heute wohl völlig undenkbar.

Hier der Film „Essen zu durchqueren“:

[embedyt] https://www.youtube.com/watch?v=XUufhdaP710[/embedyt]

[embedyt] https://www.youtube.com/watch?v=btFDPyVYbL0[/embedyt]

[embedyt] https://www.youtube.com/watch?v=tMMbZTpJADg[/embedyt]

 

 

 

 

 

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Von Heinz Niski

Handwerker, nach 47 Jahren lohnabhängiger Arbeit nun Rentner. Meine Helden: Buster Keaton, Harpo Marx, Leonard Zelig.

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