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Der Gelsenkörki an und für sich ist ja bekanntermaßen über alle Sozialen-, Kulturellen- und Bildungsgrenzen hinweg, bekennender Lokalchauvinist, der nicht nur nichts auf seine Stadt kommen lässt, sondern Kritiker & Bedenkenträger zügig als Nestbeschmutzer oder arrogante Sozialsnobs entlarvt, die mit allen Mitteln die positive Entwicklung der Stadt torpedieren wollen.

Allenfalls ein „Woanders ist auch Scheiße“ wird als indirekt vergleichendes Zugeständnis zugelassen, für die verdrängte Erkenntnis, dass es auch anders, besser gehen könnte. Wird es konkreter, werden Zahlen genannt, z.B. dass die Stadt die höchste Kinderarmut hat, die meisten Kranken o.ä., erläutert der pfiffige Lokalpatriot flott, dass man nur der Statistik vertrauen kann, die man selber gefälscht hat.

Egal, an welchem Zipfel des Gewebes der sozialen, kulturellen, ethnischen, religiösen Spannungen gezogen wird, es gibt ordentlich was auf Maul vom Körki. Mal erkennt er im Kritiker den Rassisten, mal den Intellektuellen, manchmal auch nur das Arschloch.

Das rudimentär real existierende linksliberale Bürgertum setzt dir, deine Seele an die Wand nagelnd, einen Schandhut auf und lässt dich 1000 X deklinieren: „Ich will nicht in Dresden bei den Spießern leben. Ich will ein hart aber herzlich Gelsenkirchener sein.“

Wie gut, dass ich ab und an auch mal Rückmeldungen und Einschätzungen über diese Stadt von Menschen bekomme, die unverdächtig sind, Teil einer biegsamen Seilschaft zu sein.

So geschehen am Wochenende.

Zu Besuch war eine 17jährige junge syrische Frau, die in den letzten 18 Monaten mehrfach in Gelsenkirchen war. Sie wohnt 150 Kilometer entfernt in einer Kreisangehörigen westfälischen Stadt, zieht sich westlich-weltlich an und lebt als selbstbewusst und selbstbestimmte Frau.

Sie mag die Menschen, die sie hier kennt sehr, hasst aber mittlerweile die Stadt.

Während sie sich in ihrer Stadt unbegleitet bis tief in die Nacht unbeschwert bewegen kann, traut sie sich in Gelsenkirchen nicht mal mehr am Tag über die Bahnhofstrasse, weil sie entweder missbilligend angestarrt wird oder sich sexuell anzügliche Kommentare gefallen lassen muss. Sie kann ab dem späten Nachmittag nicht mit ihrer kleinen Schwester zum Stadtgartenspielplatz gehen und hatte niemals zuvor in ihrem Leben das Gefühl, so eingeschränkt zu sein, wie in dieser Stadt.

Was würde der Gelsenkörki dazu sagen?

„Hysterische Frau, woanders iss auch gefährlich, wird nix so heiss gegessen, wie es gekocht wird, was weiß ich denn, wie scharf die Braut daher kommt, selbst Schuld.“

Niemals aber würde er sagen: „Wir haben eine das öffentliche Straßenbild bestimmende hochexplosive Mischung aus archaisch-patriarchalisch geprägten Männerbündlern, unterstützt von Frauen und Müttern dieses Kulturkreises, die dieses Rollenverständnis vererben und verbreiten.“

Er würde auch nicht öffentlich ventilieren wollen, dass die missbilligend drein blickenden Herren, gleichzeitig eifrige Nutznießer diverser Puffs und Straßenstrichs des Ruhrgebietes sind, vorzugsweise armutswandernde Sinti & Roma & Zigeuner Frauen nutzen, weil die so billig sind.

Da ist seine mit der Muttermilch aufgesogene Lebenserfahrung vor, dass wir noch allemal alle und jeden eingegliedert haben. Und dass jeder Jeck anders ist. Also ein liebenswerter, wenn auch nicht mehr zeitgemäßer Zug.

Kann eine Stadt ihr Image, ihr Selbstbild, ihr Selbstverständnis, ihre Lebensrealität ändern, beeinflussen, wenn sie nie eine offene Bestandsaufnahme macht?

Nein.

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Von Heinz Niski

Handwerker, nach 47 Jahren lohnabhängiger Arbeit nun Rentner. Meine Helden: Buster Keaton, Harpo Marx, Leonard Zelig.

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Lucius Leuchtenträger

Zitat aus „Gelsenkörkis Abgesang“:
Niemals aber würde er sagen: „Wir haben eine das öffentliche Straßenbild bestimmende hochexplosive Mischung aus archaisch-patriarchalisch geprägten Männerbündlern, unterstützt von Frauen und Müttern dieses Kulturkreises, die dieses Rollenverständnis vererben und verbreiten.“

Stimme zu, weil

a) die meisten, die das denken, das so nicht artikulieren könnten oder würden und
b) die meisten, die das so artikulieren könnten, es nicht denken würden oder denken.

Die einen haben sozusagen eine sprachliche Bremse beim Denken, die anderen eine gedankliche Bremse des Versprachlichens.

Es bleibt die Frage, ob der Gelsenkörki eine besondere Spezies ist oder nur die lokale Variante eines Typus, der allüberall mehr oder weniger deutlich in Erscheinung tritt?

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